Schlagworte
Frankreich, Paris, Lille, Deutschland, Weimar, Bertuch, Friedrich Justin, Optische Telegrafie, Kinderliteratur, Chappe, Claude
Ursprünglich zweisprachiges Textblatt, aufgrund der Kaschierung ist nur noch der deutsche Text zu sehen, die französische Fassung wurde durch die Kaschierung verklebt.
1790 beginnt der Weimarer Verleger Ferdinand Justin Bertuch mit der Herausgabe seines »Bilderbuch für Kinder«, das als erste Kinder-Enzyklopädie in Deutschland zu einem der meistgelesenen und zu Lehrzwecken eingesetzten Kinderbuch avanciert.
Aus dünnen Heftchen setzt sich das Bilderbuch über fast vier Jahrzehnte stetig in regelmäßigen Folgen langsam zusammen. Jedes Heft wird den Subskribenten postalisch ausgeliefert und schließlich zu je 20 Folgen gebunden. Es erscheinen verschiedene Auflagen in mehreren Sprachen, zweisprachig (deutsch, französisch) oder auch viersprachig (deutsch, französisch, englisch, italienisch). Nur die wenigsten Abonnenten beziehen in Gänze das Komplettwerk, das erst 1830 mit 1186 Kupfern abgeschlossen wird.
Das Werk ist ganz der Reformpädagogik verpflichtet und sieht sich in der Tradition des "Orbis Pictus" von Johann Comenius. Dieser Klassiker unter den Sach- und Bilderbüchern ist das erzieherische Standardwerk von der Mitte des 17. bis Ende des 19. Jahrhunderts. Doch anders als beim Orbis Pictus, dessen Holzschnitte grob wirken, legt Bertuch größten Wert auf das Zusammenspiel von erläuterndem Text und Abbildungen. So wählt er als Schrifttype die moderne Antiqua und beschäftigt eigene Grafiker aus dem Umfeld der »Freyen Zeichenschule« in Weimar, um auf hochwertige Abbildungen zurückgreifen zu können.
Die Hefte bilden eine »angenehme Sammlung von Thieren, Pflanzen, Blumen, Früchten, Mineralien, Trachten und allerhand andern unterrichtenden Gegenständen aus dem Reiche der Natur, der Künste und Wissenschaften«, wie der Untertitel zum ersten Band es benennt. Bertuch sortiert seine Wissenssammlung grob in 14 Gebiete. Wenn auch die naturkundlichen und zoologischen Themen überwiegen, fasst die letzte Gruppe unter dem Titel »Vermischte Gegenstände« Kuriositäten und Fabelhaftes zusammen. Zunehmend werden unter dieser »Materie« auch neue und aktuelle Erfindungen vorgestellt, wie zum Beispiel die brandaktuelle Einrichtung der optischen Telegrafenlinie in Frankreich.
Aus dem vierten Band (Seite 270 bis 275) stammen die vorliegenden Loseblätter. Ein ganzseitiger Kupferstich (Tafel 41) illustriert, die zugehörigen Textseiten beschreiben die Funktionsweise des optischen Telegrafen in Frankreich, wo im April 1794 der Probebetrieb auf der ersten Linie zwischen Paris und Lille (alter Name: Ryssel) beginnt. Der Stich zeigt links die Endstation der französischen optischen Telegrafenlinie auf dem Pavillon D'Horloge auf dem Louvre in Paris. Rechts daneben wird ein schematischer Schnitt durch die Station in Lille dargestellt, die die inneren Abläufe und grob die Mechanik der Apparatur zeigt. Der Text erklärt im Detail die Abläufe in der Station, die von vier Personen besetzt ist: ein »Offiziant« beobachtet durch das Fernrohr auf dem Dach die benachbarte Station, gibt das dort Gesehene an den unter ihm sitzenden »Secretär« weiter, der alles protokolliert. Zentral steht der »Maschinist« und stellt den Telegrafen ein nach den Anweisungen einer vierten Person, die laut Text mit dem bereits genannten »Secretär« identisch ist.
Die bisher ungekannte Schnelligkeit der Nachrichtenübermittlung durch den Telegrafen sorgt schon nach wenigen Wochen in ganz Europa für helle Aufregung und weckte allerorten ein großes Interesse an dem neuen Kommunikationsmittel. Im August beginnen auch im deutschsprachigen Raum Zeitungen über das neue Phänomen zu berichten. Bereits im Oktober 1794 erscheint der »Bericht eines Augenzeugen«, der bei der Lesung einer telegraphischen Depesche im Nationalkonvent in Paris anwesend gewesen sein will. Seine Darstellung vom Pavillon D'Horloge des Louvre mit dem Telegrafenaufbau auf dem Dach ist die erste bildliche und textliche Detail-Darstellung des französischen Telegrafen. Sie wird danach so häufig aufgelegt, kopiert und weiterverarbeitet, dass sie bis heute sicher das populärste Motiv zur optischen Telegrafie in der deutschsprachigen Literatur geworden ist. (Zum Bildmotiv und zum »Bericht eines Augenzeugen« vgl. auch die Bemerkungen zu einer weiteren Grafik unter Inv.Nr. 4.2012.695).
Der deutsche Mathematiker und Karlsruher Professor Johann Lorenz Boeckmann veröffentlicht kurz darauf im Dezember 1794 sein Buch »Versuch über Telegraphic und Telegraphen«. Seine dritte Abbildung (Tab. III) im Buch orientiert sich eng an der Darstellung des Augenzeugenberichts und ergänzt die Außensicht der Louvre-Station mit einem schematischen Schnitt der Station in Lille. Bertuch, der die aktuellen Presse- und Buchprodukte zum optischen Telegrafen gut kennt, lässt Boeckmanns Abbildung von seinen Grafikern für das Bilderbuch kopieren.
Zitiervorschlag
Textblatt "Telegraphen" aus Bertuchs "Bilderbuch für Kinder" mit Beschreibung des optischen Telegrafen auf dem Louvre in Paris und in Ryssel (Lille), um 1804; Museumsstiftung Post und Telekommunikation, Inventarnummer: 3.0.12840.2,
URL: https://onlinesammlung.museumsstiftung.de/detail/collection/9df2133a-aa4a-4e4a-9063-53b31776fdc8 (zuletzt aktualisiert: 14.0.2025)