(Briefseite 1 – Schriftspiegel)
(Briefseite 1 – Tinte schwarz)
Hochverehrtes Fräulein,
Meine erste an Sie hier gewagte Bitte ist, mir den Wunsch zu gewähren, nach=
stehende Zeilen, selbst dann wenn sich Ihrer vielleicht einige Verwunderung und Stau=
nen, ja vielleicht geheimes inneres Bangen bemächtigen sollte beim Anblick derselb[en]
ihnen dennoch wenigstens den Augenblick des Durchlesens, und wenn Sie nachher mei[nen]
sollten, auch den des Vernichtens zu schenken. Haben Sie denselben die gewünschte und u[n=]
erwartete Aufmerksamkeit erwiesen, o dann darf ich hoffen, daß Ihnen mein Beginnnen
in minder nachtheiligem Lichte, weniger kühn erscheinen wird; und daß Sie dasselbe
der weiteren Beachtung nicht unwerth finden werden. Aber wenn Sie dennoch das
Gesagte Ihrem, und vielleicht sehr verzeihlichen Zweifel unterwerfen wollten, sollt[en]
wie ich glaube, nicht schon mein Ihnen nicht unbekannter Charakter wenigstens, vie[l=]
leicht diese Worte aus der Tiefe meiner Seele dafür bürgen, daß ich, wie sonst, auch hie[r]
nicht aus Leichtsinn und ohne Ueberlegung, oder gar mit Vorsatz das Gute u[nd] Schöne, d[as]
Wahre u.[nd] Rechte, Reine und Unschuldige dem ich wie der Wanderer seinen ihm vorleu[ch=]
tenden Stern ohne Furcht und Zagen muthvoll nachstrebe, aus dem Auge gelassen
haben werde? Ist erst der Zweifel über meine Absicht bei Ihnen entfernt, dann fü[r=]
wahr ist meine That gerechtfertigt und Alles für mich ………….
…………… jetzt aber schon der Gedanke, wenn´s nicht so wäre! O könnte ich dan[n]
doch nur Einen Blick Sie und die Welt in die innere Tiefe des Herzens thun lassen,
um zu zeigen, wie hier Alles von der Fülle unendlicher Liebe und Hingebung umschlun=
gen und jeder Lebenshauch davon beseelt ist! Gott, der Herzenskundige, weiß u.[nd] kann
mein unendliches Streben, das wie eine Wahrheit ist, lauter und rein, wenn dieses
sage ich, für die Welt verloren ist und sich selbst verzehrt, sie vielleicht es selbst so
wollte. Was helfen jedoch solche Versicherungen, wo man erst dann vollkommen
überzeugt werden kann, wenn das Herz zum Herzen frei sich öffnen, sich ganz zeig[en]
darf, wie es ist, und was sein Streben ist. Wo aber, wenn, und wann? wird u[ns]?
dies vergönnt sein! So lange, das fühle ich zu sehr, gewiß nicht, als ich grade u.[nd] vollen[ds](?)
den besten Theil meines Wesens für mich behalten, in des Busens tiefstem Tiefs ve[r=]
schließen u.[nd] wie einen bannidalen (banalen?) Schatz vergraben muß. Kennt mich doch selbst
die nächste Umgebung nur von einer Seite, und selbst von dieser vielleicht nur halb;
[wa]s Wunder also, wenn ich ihr in solchem Lichte erscheine, von ihr so beurteilt we[r=]
de, daß wenn ich wirklich das, u[nd] nur das wäre, wohl kaum noch eine Stunde leben
möchte. Und dennoch bin ich wunderbarerweise auch nicht ganz unzufrieden, daß
ich so erscheine; weiß ich doch, daß es so nothwendig sein muß. Mein Streben, Dichte[n]
und Trachten ist ja, wenigstens hat es bis jetzt wohl so sein müssen auf ein We[lt]?
gerichtet, die weit über der gewöhnlichen erhaben ist. Wie natürlich also, wenn
ich nicht bin, was ich nach der Meinung sein sollte, und zuletzt von da, wo das L[e=]
ben meist sich an der äußerlichen Form bewegt, und das tiefere, reichere Gemüth
kalt und unbefriedigt, ja vielleicht sogar verletzt, von demselben abgestoßen wird.
und an eher(?) auch mit geringem Beifall ausgehen muß. Müßte ich nicht an der We[lt]
…r (daher?) fast(?) verzweifeln, wenn mich nicht mein eigenes Wissen gegen diesen
(Briefseite 2 – Schriftspiegel)
(Briefseite 2 – Tinte schwarz)
fehltritt des Halbgebildeten füherte[, ehe]r auch hier ist der wahre Vortheil wieder viel=
leicht auf meiner Seite, den wenn ich daß da, wo mich mein die Welt nicht befriedig[t]
ich diese Befriedigung, ja diese in¯ere verhöhnung mit mir selbst und mit der Welt, in
mir gesucht und gefunden habe es liegt wahrlich etwas Großes darin, und führt
zu Großem und Herrlichen ja ich fühle es! – in sich zu gehen, u.[nd] hier die Welt sich zu
schaffen, die allein des Lebens werth ist Wie viel deutlicher, klarer, ja selbst schöner
sich auch dadurch sowohl die in¯ere als äussere Welt entfaltet und mir sich dargestelt
hat, um so stärker tritt nun auch ein doppeltes Bedürfniß in meinem Innern her[=]
vor, und nöthigt mich, aus mir Selbst heraus zu treten: des Eine ist des Geistes daß
andere des Herzens. Dies letztere ist daß [wahrs(?)]cheinliche unüberwindliche Gefühl, gleichsam
abgelöst und getrennt von der Älterlichen Wurzel meines Familienstammes, allein
da zu stehen auf dem weiten Schönen Erdenrund, in der lebendigen Welt, über die
ich mich so gerne freue, u.[nd] in Ihrer Mitte doch nicht wahrhaft froh sein kann; ja mit
dem Dichter zu reden, auch nicht eine Sele zu haben, die ich mein nennen, an die ich mich
mit Innigkeit, mit ganzer ungetheilter Liebe h anschließen, der ich mich ganz
offenbaren, ihr mich ganz hingeben könnte. Jetzt u.[nd] in wie mancher gemüthlichen Stunde
fühle ich die schmerzliche Tren¯ung von den Meinen. Was es nun auch immer sein mag,
was mich schon längst – O verzeihen Sie Edles Fräulein, diese Sprache des Herzens! –
schon längst, sage ich, zu Ihnen hingezogen hat, so viel weiß ich, und darf ich vor dem
Allsehenden bekennen, es war keine Neigung, über die ich mich je werde anklagen dürfen,
es war sicher ein göttlicher Wink den der Mensch achten und ehren soll, und dem ich
in diesem Geständniß gern an Sie mein Erstes Irs Opfer bringe. Wozu Ihnen (nun …?)
auch bekennen, mit welchen Gefühlen ich es jetzt thue, und bis zu diesem Entschließen Sie
in mir zu kämpfen gehabbt habe aber auch jetzt, auch so noch nicht – ja beim Allmächti=
gen! – will ich fordern was nur ein Geschenk seiner Entschließung u.[nd] Zuneigung
ist. Was mich Ihnen zugewandt zu haben scheint, mag wohl ein altes Sprüchwort
ausgesprochen haben, daß Gleichen sich zu Gleichem nur geselle; o wohl mir, wenn auch
Sie in diesen Spruch miteinstim¯en. – Ich weiß, hochgeehrtes Fräulein, daß Liebe nur
ganz in der Gegenwart lebt u.[nd] diese allein angehört; aber nicht habe ich auch die Zukunft
darüber aus dem Auge verloren Sie werden vielleicht wissen, und müssen es ja wohl
wissen, daß ich niedern Standes entsprossen keiner Reichtümer Herr bin, und das zu
Hoffende vielleicht nicht einmahl unseren Beruf ohne √gegen meine übrigen Geschwister ungerecht
zu sein; denn ein unschätzbares unermeßliches Vermögen hat mein Vater mir darin mit=
gegeben, daß er mich über seine Kräfte hinaus etwas lernen ließ. Mein einziger
Besitz ist also mein Wissen und Können und da ich mir zutrauen darf, durch diese schon
mein künftiges Fortkommen zu finden so weiß ich nicht, …………….
unzufrieden √sein, und über das was ich schon besitze, und zu diesem Besitze z noch erwerben
kann, etwas Großes weiter wünschen darf. Mein mir vorgeste[l]ltes Ziel
werde ich schon erreichen, den ich bin mir nicht allein des Rechten und Guten bewußt,
was ich will, sondern auch der wunderbaren Fügungen meines Lebens. Ist mir
irgendwo die unsichtbare Hand Gottes sichtbar, so ists mein eigener Lebenslauf da=
von Zeuge. Habe ich doch noch alles erreicht, was ich ernstlich gewollt und gewünscht.
habe, oft es später, als ichs wollte und öfter sogar mehr, als ich voraus sehen kan[n]!
Dies wahrlich giebt die hohe Zuversicht u.[nd] den hohen Muth in Thaten auch des Geistes
daß es nun aber auch mir völlig Zeit ist – und dies macht mein Los(?) mir selbst und
aus – öffentlich in Wort und That zu zeigen, was ich in der St…
(Briefseite 3 – Schriftspiegel)
(Briefseite 3 – Tinte schwarz)
durch Andere erworben u.[nd] gewon¯en habe, dies ist mir jetzt mehr, als je klar,
und die nächste Zukunft wird den Beweis führen. Mein Entschluß nämlich ist, im
Laufe des kommenden Som¯ers oder ersten Herbstmonaten an der Universität
hier zu promoviren, und sogleich als Doctor or und Privatdocent hier zu lesen.
Unser edler guter St. R u.[nd] andere befreundete, auf deren Beistand ich rechnen
darf und einige Schriften die ich zu derselben Zeit herausgeben werde, können
empfehlen und den Weg zur weitern Beförderung bahnen. Dies mein edles
Fräulein sind die Aussichten die ich für die Zukunft habe, vorläufig eröffnen
kann, und auf die ich gewiß nicht ohne Grund baue. Sie Ihnen zu verschweigen
hätte ich für das erste Vergehen gegen Sie und gegen mein Gewissen halten müssen.
Der Blick meines Geistes hat sein Ziel fest ins Auge gefaßt, und ich werde, und
muß es erreichen, so lange ich die Kraft und den Muth behalte, die mich jetzt be=
seelen, und ein neues Leben was Ihre Zuneigung mir geben kann, noch höher
steigen wird. Könnte ich also doch auch in den Angelegenheiten des Herzens einen
solchen festen Punkt erfassen auf den mein Teuerstes √eben so fest gerichtet wäre, da es
nun einmal vielleicht durch Ihre Gegenwart und Nähe angeregt, ohne Ziel ins Unend=
liche hinaus strebt. Der Gedanke daß Wort, das Bild dieses Kleinodes im Herzen
ist ein schützender Engel gegen manche Gefahren des Denkens, Strebens und Le=
bens. O könnte ich doch auch einst vor Gott und Menschen auf Sie, als auf mei=
ne Engelein zeigen, u.[nd] ausrufen Dank Dir, Dank Euch! die Ihr mir diesen Schutz=
geist zugestelltet, der mich stets mit neuer reiner Liebe umschwebt hat! Aber
wie groß, ja erhaben u.[nd] schön ists nicht auch, wenn Seelen, die für einander
geschaffen(?) sind, nicht wie im Traum oder in einer Feentwelt sich begegnen – [ver=](?)
lieben u.[nd] – verbinden ohne eigentlich zu wissen, wie und was ihnen geschieht; sondern
mit wachem Sinn durch Gewöhnung u[nd] Erkentniß gemeinsam sich zu dem Stande vor=
bereiten, auf dem die Welt u.[nd] die Ehre des Christenthums und das Wohl u.[nd] der Adel
der Menschheit beruht? Es ist keine blendend trügerische Phantasie, die ich hier Ih=
rem Auge vorhalte; es ist vielmehr nur daß Bild unserer Ahnen und Väter, der al=
ten Deutschen. Ich glaube hirmit aber auch alles und genug gesagt zu haben, was
bei Ihnen für und wider mich sprechen kan[n]. Vollkommen ist freilich auf Erden ja
niemand; und beglückt schon wen[n] zwei vereinte Seelen zunächst an ihrer eige=
nen Veredlung und Vervollkom¯nung gemeinsam arbeiten. Mich und vielleicht mein
ganzes künftiges Schicksal vertraue ich jetzt Ihnen √an und warum? – aus Liebe um Liebe!
Dies große Wort, das Welten aneinander kettet und in ihren Kreisen sin sich be=
wegen heißt, sollte es nicht auch meine Reine(?) Welt mit jener Welt vereinen
kön¯en, zu der mein ganzes Wesen unendlich fortstrebt? Da oder vielleicht nirgends
lösen sich alle Dissonanzen meines Herzens, und ein neues, frisches u[nd] schönres
Leben geht mir auf. Um dieses Lebens willen – schenken Sie, mein edles Fräu=
lein, schenken Sie dieser Versicherung vollen Glauben, ich spreche hierin mein wahres
Leben selbst aus – also um dieses Lebens willen aus keiner andern Absicht, habe ich mich
Ihrem Herzen zu nähern gewagt vie ich es es schon lange vielleicht habe wagen müssen,
ihr geistiges Wesen in meine Gedanken [ein]zu schließen, und von diesen, die noch
kaum zu Wünschen kommen kön[n]ten Sie umschweben zu lassen. Erlange ich hie[r]durch
Ihre Zuneigung und durch diese Ihr Herz O dann ists gewiß das Geschenk Ihrer rein=
sten und ungetheilten Liebe für mich den[n] nur so, und nicht anders möchte ich es be=
sitzen, ja wahrhaft mein nennen kön¯en einer schönen Seele sich mit den reinsten Trie=
ben und Absichten sich hinzugeben ist schon mehr als menschliche Seeligkeit; aber wie soll
(Briefseite 4 – Schriftspiegel)
(Briefseite 4 – Tinte schwarz)
ich die nennen, und womit diese vergleichen, wenn man mit gleicher Hingebung,
mit gleichen Trieben empfangen wird.? Und, wenn du, o Geist der Geister mich
zum Ziel meiner Wünsche führst, werde ich auch den Augenblick ertragen können,
der mir jene erstrebte Aussicht in des Lebens neue, ungewohnte Seeligkeit er=
öffnet? Er komme – er nahe! nicht unwürdig soll er mich finden; und wo ich
kein Verdienst habe, will ichs erwerben. Du aber, Erhabener, sei auch um mich,
wenn jener Augenblick mir unendlichen Schmerz bringt; ach den Schmerz, einen
Gegenstand aufzugeben, nun da sich das Herz mit unbegrenzter Innigkeit geschlossen
hat, von dem sich zu trennen, ja das schönste Leben selbst zerreißen heißt. O
der Gedanke ist tödtlich, und √kaum wage ich zu denken, vielleicht alle meine Hoffnungen und
Wünsche Ihrem in meinem Herzen unauslöschlichem Bilde zum Opfer zu bringen
und neben diesem bleibenden Denkmale zu begraben zu müssen. Aber es sei
und komme, was da wolle, derselbe Augenblick, der unendliches Leben oder un=
vergeßlichen Schmerz bringen wird, soll mich männlich vorbereitet finden.
Und daß dieser Augenblick bald, recht bald kommen möge, dies ist zunächst
die Eine und große Bitte, die ich an Ihr gütiges, zartes u.[nd] tief fl fühlendes, ja
wie Ihr Mund es selbst ausgesprochen hat, auch allliebendes Herz richte. Drei
Worte von Ihrer Hand – aus Ihrem Munde – Gott welcher Gedanke!
Ihr Wunsch ist der des Ihrigen, Ihre Entschließung mein Leben oder Entsagung der
schönsten Freuden dieses Lebens; immer aber mögen diese Worte ein Geheim=
niß bleiben, was keinem Dritten zu wissen wünschenswerth ist. Noch einmal,
zögern Sie, schönstes Fräulein, um Alles in der Welt, nicht lange mit Ihrer
Entscheidung(?), bedenken(?) Sie – bitte innigst de… ……………..
[d]urch Secunden und Minuten zählen werde u.[nd] zählen muß. Mir Ihren Willen
zu eröffnen, wird es Ihrem Wortsinne nicht an Gelegenheit fehlen, wobei nur
Sie und Ich die Wissenden bleiben können. Der Lenker der Herzen und Gei=
ster sei mit Ihnen und mir! Nehmen Sie noch meine heiligste Versicherung
hin, das ich diese Worte schrieb mit einem Herzen voll Treue und Wahrheit,
Hoffnung und Vertrauen, Hochachtung und Liebe als
Ihr
(= Devotionsstrich)
Ihnen immer auf Immer ergebener
M . . . . . .
B[erlin]. d.[en] 5ten Jun[i]. [18]25.
Anmerkungen:
Der Brief vom 05.06.1825 ist der erste einer Reihe von Liebesbriefen von dem deutschen Philosophen, lutherischen Theologen und Hochschullehrer Johann Georg Mußmann oder Mussmann (auch Johann George Mußmann) an seine spätere Ehefrau Angelika Luise Schüler aus ihrem Nachlass. Er wurde teilweise am Rand beschnitten und in der Falte der Seitenmitte längs von Seite 2 und 3 unsachgemäß durch aufgeklebte Papierstreifen repariert, obwohl dort nur der Bogen gerissen, aber der Text unbeschädigt war. Auf den Reparaturstreifen wurde der ursprüngliche Text von einer anderen Person in abweichender Handschrift, mit geringeren Deutschkenntnissen und schlechterer Feder rekonstruiert, was zu Fehlern führte. Die aufgeklebten Streifen führten auf diesen Seiten in der Mitte quer zu einer Falte, die den Text dieser Seiten zum Teil unlesbar machte.
Im Brief selbst wurden weder die Adressatin noch der Absender benannt. Der Absender unterzeichnete lediglich mit M……. Der Brief wurde laut der N.S.-Anmerkung durch eine zum Schweigen verpflichtete Botin überbracht. Im Datum wurde das Jahrhundert nicht angegeben. Das 19. Jahrhundert ergibt sich aus die Lebensdaten der Personen sowie der regelmäßigen Verwendung der »th« im Text. Ein Umschlag mit Anschrift und Siegel liegt nicht vor. Die Adresse ergibt sich aus den Briefumschlägen anderer erhaltener Liebesbriefe sowie den Einträgen in den Straßen- und Wohnungsanzeigern für die Residenzstadt Berlin bzw. Berlin, Charlottenburg und Umgebung.
Im Brief erklärte der noch arme Absender, ohne Aussicht auf ein Erbe und ohne eine Anstellung dem offenbar nichtsahnenden Fräulein höheren Standes seine Liebe und seine beruflichen Vorha-ben in der festen Überzeugung, diese auch zu erreichen und erbittet ihre erwartete Einwilligung, sich mit ihm durch Gewöhnung und Erkenntnis gemeinsam sich zu dem Stande einer edlen christ-lichen Ehe vorzubereiten. Für den Fall ihrer Absage schilderte er auf Seite 4 allerdings, welche unendlichen seelischen Schmerzen ihm dies verursachen würde.
Der zweite Liebesbrief von Johann Georg Mußmann vom 09.06.1825 als Reaktion auf eine vorerst abschlägige Antwort der Angelika Luise Schüler nach dem Erhalt des hier vorliegenden Briefes befindet sich ebenfalls im Bestand des Museums für Post und Kommunikation Berlin mit der Inventarnummer 3.2023.2703.
Der Verfasser des Briefes Johann Georg Mußmann (* 03.05.1795 in Wotzlaff bei Danzig, † 30.06.1833 in Halle), ältester Sohn des Schmiedemeisters Johann
Friedrich David Mußmann, wurde bereits mit vier Jahren von gebildeten Landleuten in verschiedenen Fächern unterrichtet und sollte trotz des anschließenden
Besuchs nur einer Dorfschule auf Wunsch der Eltern kein Handwerk erlernen, sondern sich weiter bilden. Er war 1815 Kriegsfreiwilliger gegen Frankreich, machte
das Abitur 1819 am Danziger Gymnasium und studierte 1819-22 an der Universität Halle, wo er 1822 durch eine Gedächtnisrede auf Immanuel Kant, einem der be-
deutendsten Vertreter der abendländischen Philosophie, Beachtung fand. Nach einer Zeit als Hofmeister bei dem Mathematiker und ordentlichen Professor an der
Universität Halle Johann Friedrich Pfaff, promovierte er in Folge einer gelösten Preisaufgabe am 27.05.1826 in Berlin zum Doktor der Philosophie, habilitierte sich
im März 1828 als Privatdozent an Philosophischen Fakultät der Universität Halle und wurde bereits im Mai 1829 zum außerordentlichen Professor befördert.
Am 23.09.1830 heiratete er dann nach 5-jähriger Werbung die Angelika Luise Schüler und starb bereits 1833 mit 38 Jahren kinderlos im Amt.
Sein umfangreiches schriftstellerisches Wirken war anfangs von dem bedeutenden deutschen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel sowie Friedrich Wilhelm
Joseph [von] Schelling, einem der Hauptvertreter des Deutschen Idealismus und Hauptbegründer der spekulativen Naturphilosophie, geprägt. Ab 1828 wich er von
Hegels reiner Lehre ab, machte sogar polemische Bemerkungen gegen diesen und strebte nach eigener Originalität. Außer Schriften zur akademischen Relegions-
Philosophie veröffentlichte er u.a. auch 1832 »Vorlesungen über das Studium der Wissenschaften und Künste auf der Universität«.
Im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK), 14195 Berlin, Archivstraße 12-14 befinden sich unter I HA Rep. 76, Vf. Lit. M. Dokumente zu Muß-
mann, wie studentische Unterstützung, Lebenslauf, Besoldungsfragen, eine Genesungsreise 1832, seinen Tod und das Gnadenquartal für die Witwe.
Die Empfängerin des Briefes Fräulein Angelika Luise Schüler, Wohlgeboren (auch Angelica Louise; * 14.06.1808 in Berlin, † 25.08.1880 in Berlin) entstammte
dem Berliner Bürgertum. Sie war die einzige Tochter des Kaufmanns Johann Benjamin Schüler und Caroline Regine Sophie, geb. Tornow, die am 03.12.1794 in Ber-
lin geheiratet hatten. Der Vater ist als Eigentümer des bis zu 11-Parteien-Hauses Kronenstr. 58 von 1812 bis 1850 nachgewiesen. Sein Beruf wurde mal als Buch-
halter, Kaufmann, Buchhalter bei der Gold- und Silbermanufaktur bzw. deren Hauptbuchhalter angegeben. Ab 1824 lautete der Eintrag dann Rentier und letztmalig
1850 Particulier (französich für Privatier). Die Mutter war die älteste von drei Töchtern des Spandauer Kaufmanns (Spezerei- und Material-Händlers) Carl Friedrich
Tornow (gest. 18.03.1823 in Berlin). Nach dem Tod ihres ersten Mannes wohnte Angelika Schüler zunächst wieder allein bei ihren Eltern in Berlin, Kronenstr. 58.
Die Witwe heiratete am 08.04.1843 in Berlin in zweiter Ehe den Philosophen und Hochschullehrer Carl/Karl Heinrich Althaus (* 01.01.1806 in Hannover, † 22.10.
1886 in Berlin). Althaus, der 1837 in Halle promovierte, arbeitete ab 1838 in Berlin als Privatdozenten, habilitierte sich dort 1838 und wurde 1859
Professor an der Berliner Universität. Er befasste sich mit christlichen Überzeugungen und war Mitglied im Debattierzirkel der Jung-Hegelianer
(Linkshegelianer) »Doctorclub« (wie z.B. Karl Marx, die Brüder Bauer, Strauß, Feuerbach, Rutenberg), dessen Mitglieder die Religion sowie den
preußischen Staat kritisierten (»antichristlicher Professor«). In seiner Zeit als Privatdozent wohnten sie bis 1850 weiterhin in dem Haus ihrer Eltern,
als Universitäts-Dozent dann in der Behrenstr. 70 und zogen 1859 als Eigentümer in die Behrenstr. 69, wo er ab 1860 als Universitäts-Professor
bis zu seinem Tode im II. Stock lebte, jeweils mit Sprechstunden von 2-4 Uhr Nachmittags. In dieser Ehe bekamen sie 3 Söhne.
Angelika Schüler/Mußman/Althaus pflegte Kontakte und Briefwechsel u.a. mit den bedeutenden Familien des Historikers Bötticher, des Textil-
fabrikanten Baumann, des Schweizer Pfarrers und Dichters Tobber, des Theologen Theremin und des Potsdamer Hofsattlers Gleisberger. Sie war mit
der berühmten Schriftstellerin und Salonière Henriette Julie Herz, geb. de Lemos, verw. Hofrätin (1764 – 1847) befreundet, die von 1829 bis 1843
auch im Haus der Schülers in der Kronenstr. 58 wohnte.
N.S. (NS): Nachsatz oder Nachschrift, zusätzliche nachgestellte Bemerkung, angefügte Ergänzung bei einem Text. Üblich ist auch P.S. (PS) = lateinisch Postscriptum, zu Deutsch dahinter schreiben.
Devotionsstrich (Verneigung): diente seit dem 17. Jahrhundert zur Abkürzung der Schlusscourtoisie/-formel (zunächst vor allem in Nachsätzen) bzw. ersetzte diese seit Abschaffung der Anfangs- bzw. Schlusskuralien, den Titeln, Anredeformen und formellen Schlusssätzen in förmlichen Briefen (Preußen 1810). In privater eigenhändiger Form war er ein Zeichen der Ehrerweisung des Absenders vor dem Empfänger.
Wohlgeboren (wörtlich "gut geboren") war ursprünglich eine Anrede für die untersten Ränge des deutschen Adels. Die lateinische Version dieses Begriffs lautet "spectabilis". Wohlgeboren wurde dann die Anrede für bürgerliche Honoratioren, also Bürger, die aufgrund ihres herausgehobenen sozialen Status im überwiegend kleinstädtischen Milieu, aber auch größeren Dörfern großes Ansehen genossen und dort gegebenenfalls informellen Einfluss ausüben konnten. Typische Beispiele waren der Lehrer (Schulmeister), der Pfarrer, der Richter, der Arzt, der Förster, der Tierarzt, der Postmeister, der größte Bauer am Ort oder ein Fabrikbesitzer. Im 19. Jahrhundert bestanden diese entsprechend ihrer gestiegenen Bedeutung jedoch zunehmend auf die Anrede »Hochwohl-geboren«.
Siegel: Das Siegel des J. G. Mußmann ist nebenstehend abgebildet. Bis ins 19. Jahrhundert waren zusammengefaltete und versiegelte Bögen die übliche Form von
versandten Urkunden oder Briefen. Das Siegel ist neben dem Erkennungszeichen wie die eigenhändige Unterschrift ein weiteres urkundliches Beglaubigungsmittel,
das eine rechtlich verbindliche Willenserklärung des Siegelinhabers ausdrückt. Ein Dokument ohne Siegel war noch im Mittelalter als Urkunde rechtsungültig. In Eng-
land verkaufte 1820 der Buch- und Papierwarenhändler K. S. Brewer aus Brighton die ersten gewerbsmäßig hergestellten Briefumschläge. Die Pflicht zur Briefversie-
gelung wurde in Deutschland 1849 aufgehoben.
Th: Die Vorschläge der 1.Orthografische Konferenz in Berlin 1876 mit maßvollen Änderungsvorschlägen (t statt th in Thür usw.) fanden noch wenig Akzeptanz. Erst
die 2. Orthographische Konferenz in Berlin vom 17. bis 19. Juni 1901 unter dem Titel »Beratungen über die Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung« konnte
Änderungen weitgehend durchsetzen. Wichtigstes Ergebnis der Reform von 1901 war der Entfall der vorher allgegenwärtigen »ph« und »th«. So wurde z.B. aus Thal
Tal, aus Thon Ton, aus Thor der und das Tor, aus Thräne Träne, aus thun tun, aus Thür Tür und aus Gemüth Gemüt. Aber: Kaiser Wilhelm II. soll nach einer Anek-
dote, mit roter Tinte in Dudens neues Rechtschreibbuch die Bemerkung "An meinem Thron wird nicht gerüttelt!" geschrieben haben – jedenfalls blieb der Thron mit th. Das erlaubt einen Rückschluss auf die Entstehungszeit des Briefes.
Quellen:
https://de.wikipedia.org
https://www.deutsche-biographie.de
https://www.google.de, /Maps, /Bilder
https://www.ebay.de/ bzw. .at/
https://www.zvab.com/
https://www.abebooks.co.uk/ bzw. .com/
https://www.iberlibro.com/
https://digital.zlb.de/