(Briefseite 1 – Schriftspiegel)
(Briefseite 1 – Tinte schwarz)
O mein tief, großes erhabenes Mädchen! wie tief aus allen meinen Himmeln
hat mich Ihr Brief gestürzt. Sie nennen sich schwach; aber wüßten Sie doch nur, daß Sie mir
gegenüber stehen wie nach dem Siege der Sieger, der Held; vor dem ich, der Besiegte im
Staube kaum empor zu schauen wage. Wahrlich, ich möchte mich vergleichen mit dem Sieger
von Roßbach, der vor jener unglücklichen Schlacht gegen manche warnende Stimme
taub, zu kühn und zu viel seiner eigenen Kraft vertrauend, jenem Tage entgegen=
ging, der ihn tiefgebeugt zu Boden warf, so daß er sich von demselben erhebend seinen
Geist mehr dem Jenseits als Disseits zuwandte. O Gott! ich kann noch Geschichten,
Anekdoten erzählen! Ich möchte Ihnen auch danken, daß Sie mich aus einem ge=
fährlichen Schlummer geweckt; ich möchte, aber ich vermags nicht. Ihr milder, güti=
ger, frommer Sinn führte Ihnen die Feder, das liegt in jedem Worte – Aber, o Gott!
wüßten Sie doch nur, wie fast jedes Ihrer Worte für meine Lage, für meinen Charakter
die tiefste, oft bitterste Erniedrigung u.[nd] Demüthigung, ja geforderte u.[nd] berührte Unmög=
lickeiten enthält! Habe ich Sie etwa verkannt, oder unerkannt etwas gebeten?
Auf keine Weise! Ist meine Zuneigung eine Schickung des Bösen? Aber was ist denn
das Leben, wenns so wäre? Habe ich vielleicht Unmögliches gewünscht? Nein bei Gott
nicht, sobald Sie mich wahrhaft erkannt hätten, oder mit Ihre, ich glaube noch nicht – oder
soll ich glauben, wovon ich doch nicht überzeugt bin? – vergebene Zuneigung geschenkt hät=
ten; aber dann habe ichs, wenn alles entgegengesetzt ist. Ich bin also auch wohl von Ihnen
verkannt; ach dies Bewußtsein läßt sich, beim Allmächtigen, nie aus meiner Seele
tilgen. Nur dieser Verkennung, dieses unrichtige Bild von meinem Innern und Aeußern
hat die unselige, und wie es scheint undurchdringliche Scheidewand zwischen uns gestellt; was
könnte es sonst sein? Erhabenes Mädchen, ich bitte um des Heiligen willen, heben
Sie diese Mauer auf, die die Worte: »ich kann Ihnen nicht Geliebte, einst nicht Gattin sein«
gepflanzt haben zwischen Ihnen u.[nd] mir. Bei Gott, kein physisches, sondern ein edleres, geistiges
Bedürfniß zog mich zu Ihnen hin, das Bedürfniß des Umgangs mit einer reinen, scheuen
Seele. Alles Streben nach Wissen erfüllt den Menschen nur halb. Nehmen Sie mich für
Ihren Bruder, den Ihnen die Natur versagt hat, lernen Sie mich näher kennen; ich will
von Ansprüchen fern bleiben, die Ihnen und mir entgegen sind. Nicht der Leib, sondern
der Geist, die Seele, das Gemüth ist das, was mich anziehen und erheben kann. Aber
vergebens wird auch wohl dieses mein Sehnen u.[nd] Bitten sein! Mich dünkt, es ist zu hart. -
Ich soll mit Ihnen zu Gott beten, soll Ihr Freund sein, soll Sie aber auch vergessen, –
ja wohl! das heißt erst den Lethe trinken, und dann lieben, wenn man nicht mehr ist.
O Mädchen, Mädchen! Ich sehe Sie auf einer Höhe schweben, vor der ich schwindele,
wohin ich zu kom¯en, wohl vergebens hoffe. Gott meine Ahndung! Sie werden einst
an mich denken! – Welch göttliches Leben fühle ich in meinem Gliedern strömen, und
für Sie! Ich habe es, bei Gott gut, redlich, treu u.[nd] edel mit Ihnen gemeint, fern von
aller Täuschung und Heuchelei – und alles dies, ein Leben, das des Vertrauens werth ist,
haben sie verschmäht. – Um das Sehnen und Verlangen meines Herzens zu befriedigen,
(Briefseite 2 – Schriftspiegel)
(Briefseite 2 – Tinte schwarz)
meinen Sie, gehört mehr, als christliche Liebe, Sie vermögen es nicht, Sie würden Sich und
mich täuschen und einst dies nicht vor dem Richterstuhl Christi verantworten können; -
ich bitte Sie, edles Fräulein, habe ich denn etwas Sträfliches, Unedles und Unreines ge=
beten, nicht gerade das, was unsern Ruhm vor Gott nach der Ansicht unserer Religion selbst
nicht noch mehr vergrößern muß; verdammen Sie mich, Sie heben damit die gegenwärtige
Welt auf. Und giebt es auch eine höhere als christliche Liebe, oder könnte ich mehr ver=
langt haben, als diese? Gott, was wäre mir Christus und seine Religion, wenn die
letztere nicht alles, was göttlich und menschlich, ist auf Erden, schon in sich schlöße? Das
was über diese Religion und ihre Liebe hinaus geht, mag ich nicht, verachte ich. Aber
mein gütiges Fräulein, das was unsere Annäherung unmöglich zu machen scheint, liegt
vielleicht sehr nahe; und ist es dies, dann, ja dann verzeihen Sie meine vielleicht zu
rasche, zu überraschende Handlung. Sie haben es ja auch selbst ausgesprochen. Lassen
Sie mich offen und nur diesmal noch, u.[nd] vielleicht nie wieder aufrichtig sprechen, wie ich
Ihnen für Ihre Aufrichtigkeit den innigsten Dank sage; – ich weiß, Sie nehmen sicher An=
stoß an meiner religiösen Denkweise, an meine wissenschaftliche Bemühungen, vielleicht
sogar an frühern Aeußerungen, wo ich von Ihnen vielleicht nach dem Schein und nicht nach
dem Sinn beurtheilt wurde. Es ist ein großes, tief gefaßtes Wort, was ich hiermit
aussprechen will, und worauf mein Leben und Handeln ruht, daß, was sich vor mei=
ner Vernunft nicht als wahrhaft christlich bewährt, keine Giltigkeit, kein Recht noch
Werth hat. Und wenn ich nun in meinen Gesinnungen, im Denken und Handeln, jenem
apostolischen Spruche getreu: »der Buchstabe tödtet, aber der Geist macht lebendig« √als wahr=
hafter Christ und Mensch zugleich hier u.[nd] dort befunden würde, ohne stets den Christen und
Menschen, oder dieses sein und wir den Menschen heißen zu wollen; – wie dann? –
O lesen sie Nathan den Weisen von Lessing! – auch hier ist Christen= und Menschenliebe,
wenn auch nicht ganz die meine. Und um weiter aufrichtig zu sein, indem Sie glauben,
daß ich etwas gewünscht hätte, was Sie mir nicht gewähren können, ja vielleicht zu
tief zu stehen meinen; in demselben Augenblicke stehen Sie hoch; anbetungswürdig,
in Engelsreinheit und Unschuld gehüllt, vor mir so hoch freilich, ja ich muß es ge=
stehen, daß mir mein Wunsch und Bitten um Ihre Zuneigung fast selbst sträflich
scheinen kann; o so hoch, daß gerade dieser unser Abstand uns auf immer zu trennen
scheint. Sie selbst haben mir also durch Ihr eigenes frommes Herz alle Waffen aus den
Händen gewunden, und o Gott! auch alle meine Hoffnungen zerstört! Und wenn ich
nun noch gar den Gedanken einer unedlen, unreinen Absicht von meiner Seite in Ihrer
Seele geweckt hätte; dies, hohes Mädchen, wäre das härteste, diesen Gedanken ertrage
ich nicht; beim Allmächtigen, lieber nicht leben, als unedel denken und handeln; dieses
ist das Thema, welches mein Leben einst weiter ausführen und bewähren soll: –
Nicht Beglückerin meines Lebens nur, nein einst Gefährtin, Theilnehmerin an Allem,
was ein stilles, geräuschloses √Leben, die Ausübung des Guten, die Pflege des Wahren und Rechten
im beschränkten häuslichen Kreise darbieten kann. Dies ist mein Ideal von jeher
und bleibt es immer. In der freien, offenen Natur jung und fast groß geworden, möchte
und werde ich auch vielleicht in ihr enden. Dies ist das Glück, was ich, u.[nd] möge ich eine Theil=
nehmerin finden, die Zukunft vorbereiten möchte. Größeres Glück kann ich nur ein=
mal nicht wünschen, denn das größte tragen wir in uns selber. Aber freilich ist der(?)
Same auch geboren seine Kraft, wie die Sonne ihre Strahlen ins Weite zu richte[n]
die Frau dagegen sein Feuer zu mäßigen und ihn und mehr auch sich selbst in einem [klei=](?)
nen Kreise geltend zu machen. – Ich fühle wahrlich Ihr Wehn, Ihren Schmerz bei[m](?)
Niedenschreiben Ihrer Worte; aber daß es so sein muß, o Gott das ist nicht zu ertrag[en]
selbst √wen¯ ich mich überreden könnte, daß es wahr sei. Ist das Gefühl einer edlen Liebe, d[ie]
(Briefseite 3 – Schriftspiegel)
(Briefseite 3 – Tinte schwarz)
unser ganzes Wesen durchdringt, erhöht und gleichsam beschwingt ein Kleid, das man nach
Gefallen wechseln kann? Freilich ist Liebe, diese hohe Triebfeder alles Großen und Göttlichen
auf Erden, ein Leben bald nichts mehr, als das Zuckerwort, wodurch man schöne, unbe=
fangene Seelen anlockt, und in das Netz der Verführung verstrickt. Wäre von der
Art auch die meinige, ja dann hätten Sie göttlich gehandelt, mich von sich zu stoßen;
ja dann ließe sichs auch wohl bald wieder ruhig sein, oder gar auf ein anderes Wesen
den Blick werfen, und die Hoffnung auf einen anderwärts zugenießenden Besitz würde wie=
derkehren. Aber der Kreis meines Lebens und meiner Liebe liegt eingeschlossen in
drei Worten klar vor meiner Seele: In Liebe werd ich empfangen und geboren;
Liebe hat mich mit der Welt entzweit und aus mir das gemacht, was ich jetzt bin;
durch Liebe hoffte ich wieder mit ihr und mit mir verbunden zu werden; allein es scheint
mir ein anderes Loos bestimmt √zu sein; fast möchte ich meine eigene Zukunft deuten.
Mann soll ich sein, ja muß es, will es auch sein; aber als Mann allein dazustehen
und der Natur zuwider das Band und den Kreis zu entbehren, worin der Mann sich erst
wahrhaft als Mensch und Christ bewähren kann, dies ist für ein fühlendes Herz, für ei=
nen denkenden Geist zu hart, zu hart! Ihr Freund soll ich sein; o könnte ichs doch,
aber ich fühle die Unmöglichkeit. Sagen Sie selbst, kann ich dessen Freund sein, von
dem ich so tief verwundet und gebeugt bin? Oder kann Liebe etwas anders, als lie=
ben oder -- , nein ich mag das Wort nicht nennen; es enthüllt alle Ungöttlichkeiten
der Natur, und doch giebts kein Drittes, kein Mittleres; die Welt selbst bewegt sich zwi=
schen diesen Polen und sollte es nicht auch der Mensch? Und was ist Freundschaft ohne
Liebe – wahrlich ein leerer Schall, ein verfallend Wort! – Ja endlich ich hätte wirk=
lich nicht wissen sollen, wenn ich mir unter Ihrem Wesen gedacht habe? O Mädchen,
Mädchen! aus dem Mund eines Andern wären diese Worte, Bitterkeit, ja Spott
und Zei[c]hen meiner äußersten Unbesonnenheit und Unkenntniß. Doch aus Ihrer
frommen und edlen Seele kann dieser Sinn nicht kommen. Sie fühlen, o Gott, viel=
leicht nicht, was ich; und soll ich Sie darum glücklich preisen? Muß es ja nicht, da
Sie es selbst so aufrichtig und mitfühlend versichern. Ja mein edles Fräulein, Sie
sehen den schwach vor sich, der sonst wohl und immerfort nach dem Namen des Men=
schen, Denkers und Weisen ringt; aber ich schwöre Ihnen bei Gott, Niemand soll
mich in dieser Gestalt wieder so sehen. Diese meine Buße ist mir ein ernstes Warnungs=
zeichen für mein ganzes Leben; und nicht leicht möchte wahrer, reiner Liebe Aufge=
schlossenheit mehr als Ein Mal in demselben wiederkehren. Aufschließen aber
will ich mein Inneres für die, die der Hohe und Göttliche, Christen= u.[nd] Menschen=
thum zu empfangen und hoffen fähig sind auf andere Weise u.[nd] dadurch zeigen, ob
ich werth bin Christ und Mensch zu sein; ich will nicht länger verkannt werden; die
Geschichte soll über mich richten, und wenn sich auch Viele der Mitlebenden, wie
einst der Erlöser sprach und mir göttlich voranleuchtet, an mir ärgern sollten;
ich bin mir bewußt im Geiste und in der Wahrheit zu wandeln, ich weiß, daß
Gottes Kraft auch im Schwachen mächtig ist, und – o dies Bewußtsein oder nichts
kann mich über jenen unsäglichen Schmerz erheben, den mir ein Augenblick brach=
te. Ja ich fühle auch den Schmerz, den ich Ihnen selbst verursachen muß, viel=
leicht eben jetzt mehr als den meinen; aber ist Mittheilung nicht auch Erleichterung,
und wen habe ich sonst, dem ich diese Gefühle mittheilen könnte, als Sie, dies geliebte
Kleinod, von √dem ich mich auf immer trennen soll? Ach es sind Worte in der Scheide=
stunde! Ihr frommes, so zart, aber tief fühlendes Herz, dies war es, worin ich mich
selbst zu wissen, mein Alles hergeben wollte; dies wird mir jetzt wenigstens nicht
(Briefseite 4 – Schriftspiegel)
(Briefseite 4 – Tinte schwarz)
seine Theilnahme versagen können; Nein diese hohe Menschenpflicht und Christentugend ist
ja Ihre schönste Zierde. – Bald werden Sie Ihren Blick gen Morgen wenden,
und frei athmen in der freien Natur; könnte ich mich doch gen Abend, um auch in den
Armen der Natur die Gefühle strömen zu lassen, die für fühlende Menschen geschaffen
sind. Nein, o Gott, bei der Thräne die aus der Tiefe empor quillt und mein Auge überströmt,
ich will nicht Ihr Herz bestürmen, will Ihre Tugend nicht verletzen. Ihr Freund aber,
nachmals kann ich nicht sein; im Freunde stirbt der Geliebte, und im Geliebten der Freund.
Sie vergessen? kann ich nicht, und könnte ichs, ein schlimmes Zeichen für meine Liebe, und ein
Glück für Sie. Der Schmerz liebt oft den Schmerz und findet Beruhigung in ihm; gott gönnen
Sie mir diesen. Freuen aber werde ich mich stets in der Nähe und Ferne, wenn ich höre,
daß Ihr Glück auf andere Weise, und durch Andere begründet u.[nd] bereitet, größer und
erhabener sein wird, als Sie es von und bei mir erwartet haben mögen. Ein Wort
auf diese Zeilen, nicht wohl der Hoffnung, aber vielleicht des Trostes, dürfte ich wohl
wünschen, aber wohl kaum erwarten. O Ihre Prüfung! – wäre sie doch anders
ausgefallen, oder – – ja ich fürchte, Sie haben dabei etwas übersehen! – Gott sei
mit Ihnen und mir! Seiner Fügung, seinem Willen wollen wir uns getrost
hingeben! Doch
» Der Schmerz um Liebe, wie die Liebe, bleibt
Untheilbar und unendlich! « (Göthe.)
Und » » Dem Mann zur liebenden Gefährtin ist
Das Weib geboren; – wenn sie der Natur
Gehorcht; diene sie am würdigsten dem Himmel! «.
(Schillers Jungfr.[au])
Ja dieses Wort gab die Gottheit dem Dichter ein; darum lassen Sie uns es ehren als die
Stimme von Oben! – Ja ehren nicht nur und hochachten, sondern verehren werde
ich auch Sie, wenn ich Sie dem schönsten Ziele zustreben sehe, das uns die Gottheit
durch den Dichter hier enthüllt. – So schweige denn, armes, bewegtes, schlagendes Herz! –
Verzeihung unvergeßliches Mädchen, wie mir der Himmel wird
verzeih´n ! ! !
D.[en] 9ten Juni. [18]25.
Anmerkungen:
Der Brief vom 09.06.1825 ist der zweite einer Reihe von Liebesbriefen von dem deutschen Philosophen, lutherischen Theologen und Hochschullehrer Johann Georg Mußmann oder Mussmann (auch Johann George Mußmann) an seine spätere Ehefrau Angelika Luise Schüler aus ihrem Nachlass. Er ist die Reaktion auf eine vorerst abschlägige Antwort der Angelika Luise Schüler nach dem Erhalt des ersten Liebesbriefes von Johann Georg Mußmann vom 05.06.1825.
Der erste Liebesbrief befindet sich ebenfalls im Bestand des Museums für Post und Kommunikation Berlin mit der Inventarnummer 3.2023.2730.
Im Brief selbst wurden weder die Adressatin noch der Absender benannt. Im Datum wurde das Jahrhundert nicht angegeben. Das 19. Jahrhundert ergibt sich aus die Lebensdaten der Personen sowie der regelmäßigen Verwendung der »th« im Text. Ein Umschlag mit Anschrift und Siegel liegt nicht vor. Die Adresse ergibt sich aus den Briefumschlägen anderer erhaltener Liebesbriefe sowie den Einträgen in den Straßen- und Wohnungsanzeigern für die Residenzstadt Berlin bzw. Berlin, Charlottenburg und Umgebung.
Im Brief schilderte Mussmann, wie sehr ihn ihre Zurückweisung »ich kann Ihnen nicht Geliebte, einst nicht Gattin sein» getroffen habe. Sie könne ihn nur missverstanden und etwas übersehen haben, da in seiner Zuneigung nichts Böses sei und er gemäß seinem unveränderlichen Ideal bei Gott »kein physisches, sondern ein edles geistiges Bedürfnis« ihr gegenüber habe. Mit mehrfa-chem vielleicht rätselte er weiterhin über ihre Gründe und schilderte seine tiefen seelischen Schmerzen. Die ihm angebotene Freundschaft ohne Liebe könne er nicht ertragen, dann wolle er besser gar keine Verbindung mehr. Das hinderte ihn aber nicht, sie zum Schluss doch um einige Zeilen zu bitten.
Der Verfasser des Briefes Johann Georg Mußmann (* 03.05.1795 in Wotzlaff bei Danzig, † 30.06.1833 in Halle), ältester Sohn des Schmiedemeisters Johann
Friedrich David Mußmann, wurde bereits mit vier Jahren von gebildeten Landleuten in verschiedenen Fächern unterrichtet und sollte trotz des anschließenden
Besuchs nur einer Dorfschule auf Wunsch der Eltern kein Handwerk erlernen, sondern sich weiter bilden. Er war 1815 Kriegsfreiwilliger gegen Frankreich, machte
das Abitur 1819 am Danziger Gymnasium und studierte 1819-22 an der Universität Halle, wo er 1822 durch eine Gedächtnisrede auf Immanuel Kant, einem der be-
deutendsten Vertreter der abendländischen Philosophie, Beachtung fand. Nach einer Zeit als Hofmeister bei dem Mathematiker und ordentlichen Professor an der
Universität Halle Johann Friedrich Pfaff, promovierte er in Folge einer gelösten Preisaufgabe am 27.05.1826 in Berlin zum Doktor der Philosophie, habilitierte sich
im März 1828 als Privatdozent an Philosophischen Fakultät der Universität Halle und wurde bereits im Mai 1829 zum außerordentlichen Professor befördert.
Am 23.09.1830 heiratete er dann nach 5-jähriger Werbung die Angelika Luise Schüler und starb bereits 1833 mit 38 Jahren kinderlos im Amt.
Sein umfangreiches schriftstellerisches Wirken war anfangs von dem bedeutenden deutschen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel sowie Friedrich Wilhelm
Joseph [von] Schelling, einem der Hauptvertreter des Deutschen Idealismus und Hauptbegründer der spekulativen Naturphilosophie, geprägt. Ab 1828 wich er von
Hegels reiner Lehre ab, machte sogar polemischen Bemerkungen gegen diesen und strebte nach eigener Originalität. Außer Schriften zur akademischen Relegions-
Philosophie veröffentlichte er u.a. auch 1832 »Vorlesungen über das Studium der Wissenschaften und Künste auf der Universität«.
Im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK), 14195 Berlin, Archivstraße 12-14 befinden sich unter I HA Rep. 76, Vf. Lit. M. Dokumente zu Muß-
mann, wie studentische Unterstützung, Lebenslauf, Besoldungsfragen, eine Genesungsreise 1832, seinen Tod und das Gnadenquartal für die Witwe.
Die Empfängerin des Briefes Fräulein Angelika Luise Schüler, Wohlgeboren (auch Angelica Louise; * 14.06.1808 in Berlin, † 25.08.1880 in Berlin) entstammte
dem Berliner Bürgertum. Sie war die einzige Tochter des Kaufmanns Johann Benjamin Schüler und Caroline Regine Sophie, geb. Tornow, die am 03.12.1794 in Ber-
lin geheiratet hatten. Der Vater ist als Eigentümer des bis zu 11-Parteien-Hauses Kronenstr. 58 von 1812 bis 1850 nachgewiesen. Sein Beruf wurde mal als Buch-
halter, Kaufmann, Buchhalter bei der Gold und Silbermanufaktur bzw. deren Hauptbuchhalter angegeben. Ab 1824 lautete der Eintrag dann Rentier und letztmalig
1850 Particulier (französich für Privatier). Die Mutter war die älteste von drei Töchtern des Spandauer Kaufmanns (Spezerei- und Material-Händlers) Carl Friedrich
Tornow (gest. 18.03.1823 in Berlin). Nach dem Tod ihres ersten Mannes wohnte Angelika Schüler zunächst wieder allein bei ihren Eltern in Berlin, Kronenstr. 58.
Die Witwe heiratete am 08.04.1843 in Berlin in zweiter Ehe den Philosophen und Hochschullehrer Carl/Karl Heinrich Althaus (* 01.01.1806 in Hannover, † 22.10.
1886 in Berlin). Althaus, der 1837 in Halle promovierte, arbeitete ab 1838 in Berlin als Privatdozenten, habilitierte sich dort 1838 und wurde 1859
Professor an der Berliner Universität. Er befasste sich mit christlichen Überzeugungen und war Mitglied im Debattierzirkel der Jung-Hegelianer
(Linkshegelianer) »Doctorclub« (wie z.B. Karl Marx, die Brüder Bauer, Strauß, Feuerbach, Rutenberg), dessen Mitglieder die Religion sowie den
preußischen Staat kritisierten (»antichristlicher Professor«). In seiner Zeit als Privatdozent wohnten sie bis 1850 weiterhin in dem Haus ihrer Eltern,
als Universitäts-Dozent dann in der Behrenstr. 70 und zogen 1859 als Eigentümer in die Behrenstr. 69, wo er ab 1860 als Universitäts-Professor
bis zu seinem Tode im II. Stock lebte, jeweils mit Sprechstunden von 2-4 Uhr Nachmittags. In dieser Ehe bekamen sie 3 Söhne.
Angelika Schüler/Mußman/Althaus pflegte Kontakte und Briefwechsel u.a. mit den bedeutenden Familien des Historikers Bötticher, des Textil-
fabrikanten Baumann, des Schweizer Pfarrers und Dichters Tobber, des Theologen Theremin und des Potsdamer Hofsattlers Gleisberger. Sie war mit
der berühmten Schriftstellerin und Salonière Henriette Julie Herz, geb. de Lemos, verw. Hofrätin (1764 – 1847) befreundet, die von 1829 bis 1843
auch im Haus der Schülers in der Kronenstr. 58 wohnte.
Sieger von Roßbach: Am 05.11.1757 besiegte der preußische König Friedrich II., der Große, im Siebenjährigen Krieg nahe dem westsächsischen Dorf Roßbach (heute Sachsen-Anhalt) die französische Armee unter dem Fürsten von Soubise und die mit ihr koalierende Reichsexekutionsarmee unter Reichsgeneralfeldmarschalls Prinz von Sachsen-Hildburghausen, welche zusam-men die doppelte Truppenstärke hatten. Durch sein geschicktes Taktieren umfasste er die Koalitionstruppen, die sich in völliger Auflösung zerstreuten und die meisten Geschütze zurückließen.
Die Schlacht wurde zu einem Identifikationsereignis mit der preußischen Sache vor allem im protestantischen Deutschland und war die erste Demütigung der Franzosen seit dem Dreißigjährigen Krieg. Friedrichs Feldherrenruhm, auf den nach einem gescheiterten Böhmenfeldzug im Sommer ein erster Schatten gefallen war, strahlte in neuem Glanz. Er galt trotz auch einiger Niederlagen weiterhin als sehr schnell, unberechenbar und kaum zu bezwingen.
Lethe trinken: Die Lethe (= das Vergessen) ist einer der Flüsse in der Unterwelt der griechischen Mythologie. Man glaubte im alten Griechenland, wer vom Wasser der Lethe trinke, verliere seine Erinnerung vor dem Eingang ins Totenreich. Nach einer anderen Überlieferung mussten die Seelen aus dem Fluss trinken, damit sie sich nicht mehr an ihr vergangenes Leben erinnerten, um wiedergeboren zu werden.
Apostolisch: eigentlich von den Aposteln ausgehend, in der Art der Apostel, die Apostel und ihre Lehre betreffend, also von Jesus Christus direkt mit der Verkündigung des Glaubens beauftragt. Allgemein meint es, eifriger Verfechter einer Lehre oder Ansicht zu sein.
Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig: entstammt dem Brief des Apostel Paulus in 2. Kor 3,6 (zweiter Brief an die Korinther, Kapitel 3, Vers 6): Christus hat uns fähig gemacht, Diener des Neuen Bundes zu sein, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig. »Buchstabe« bezieht sich auf das Gesetz, welches tötet (»Dienst des Todes, mit Buchstaben eingegraben«). Er betont den lebendige Charakter des Dienstes am Evangelium.
Nathan der Weise ist der Titel und die Hauptfigur eines fünfaktigen Ideendramas von Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 1781), seines letzten Werkes, das 1779 veröffentlicht und am 14.04. 1783 in Berlin uraufgeführt wurde. Es ist ein typisches Werk der Aufklärung, in dem der Autor die Wunschvorstellung eines friedlichen Miteinanders von Judentum, Christentum und Islam entwirft. Die Basis dafür bilden aufgeklärte und tolerante Menschen, wie sie im Nathan vorkommen.
Der Schmerz um Liebe, wie die Liebe, bleibt unteilbar und unendlich. Fühl' ich doch, welch ungeheures Unglück den betrifft, der seines Tags gewohntes Gut vermisst.: Der Text des bedeu-tendsten deutschsprachigen Dichters, Politikers und Naturforschers Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832) über das Liebesleid entstammt seinem Drama »Die natürliche Tochter«, III. Aufzug, 2. Auftritt (Herzog). Das Trauerspiel in fünf Aufzügen entstand zwischen Oktober 1801 und März 1803, wurde am 02.04.1803 in Weimar uraufgeführt und lag im Herbst 1803 im Druck vor.
Dem Mann zur liebenden Gefährtin ist das Weib geboren – wenn sie der Natur gehorcht, dient sie am würdigsten dem Himmel! Und hast du dem Befehle deines Gottes, der in das Feld dich rief, genuggetan, so wirst du deine Waffen von dir legen, und wiederkehren zu dem sanfteren Geschlecht, das du verleugnet hast, das nicht berufen ist zum blutgen Werk der Waffen.:
Das ist ein Text des Dichters, Philosophen, Historikers und Arztes Johann Christoph Friedrich von Schiller in seinem Drama »Die Jungfrau von Orleans«, III. Aufzug, 4. Auftritt (Erzbischof).
Das historische Werk erzählt die Ereignisse um das Bauernmädchen Jeanne d’Arc aus Lothringen, die infolge ihrer Rolle im Hundertjährigen Krieg (1339–1453) und ihrem glühenden Einsatz für ihr französisches Heimatland 1909 selig- und elf Jahre später heiliggesprochen wurde. Es behandelt vorwiegend die Frage nach der materiellen und intellektuellen Macht des Einzelnen sowie die Motive für die Erlangung und den Erhalt dieser Macht und kann der aufkommenden Romantik zugeordnet werden.
Wohlgeboren (wörtlich "gut geboren") war ursprünglich eine Anrede für die untersten Ränge des deutschen Adels. Die lateinische Version dieses Begriffs lautet "spectabilis". Wohlgeboren wurde dann die Anrede für bürgerliche Honoratioren, also Bürger, die aufgrund ihres herausgehobenen sozialen Status im überwiegend kleinstädtischen Milieu, aber auch größeren Dörfern großes Ansehen genossen und dort gegebenenfalls informellen Einfluss ausüben konnten. Typische Beispiele waren der Lehrer (Schulmeister), der Pfarrer, der Richter, der Arzt, der Förster, der Tierarzt, der Postmeister, der größte Bauer am Ort oder ein Fabrikbesitzer. Im 19. Jahrhundert bestanden diese entsprechend ihrer gestiegenen Bedeutung jedoch zunehmend auf die Anrede »Hochwohl-geboren«.
Siegel: Das Siegel des J. G. Mußmann ist nebenstehend abgebildet. Bis ins 19. Jahrhundert waren zusammengefaltete und versiegelte Bögen die übliche Form von
versandten Urkunden oder Briefen. Das Siegel ist neben dem Erkennungszeichen wie die eigenhändige Unterschrift ein weiteres urkundliches Beglaubigungsmittel,
das eine rechtlich verbindliche Willenserklärung des Siegelinhabers ausdrückt. Ein Dokument ohne Siegel war noch im Mittelalter als Urkunde rechtsungültig. In Eng-
land verkaufte 1820 der Buch- und Papierwarenhändler K. S. Brewer aus Brighton die ersten gewerbsmäßig hergestellten Briefumschläge. Die Pflicht zur Briefversie-
gelung wurde in Deutschland 1849 aufgehoben.
Th: Die Vorschläge der 1.Orthografische Konferenz in Berlin 1876 mit maßvollen Änderungsvorschlägen (t statt th in Thür usw.) fanden noch wenig Akzeptanz. Erst
die 2. Orthographische Konferenz in Berlin vom 17. bis 19. Juni 1901 unter dem Titel »Beratungen über die Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung« konnte
Änderungen weitgehend durchsetzen. Wichtigstes Ergebnis der Reform von 1901 war der Entfall der vorher allgegenwärtigen »ph« und »th«. So wurde z.B. aus Thal
Tal, aus Thon Ton, aus Thor der und das Tor, aus Thräne Träne, aus thun tun, aus Thür Tür und aus Gemüth Gemüt. Aber: Kaiser Wilhelm II. soll nach einer Anek-
dote, mit roter Tinte in Dudens neues Rechtschreibbuch die Bemerkung "An meinem Thron wird nicht gerüttelt!" geschrieben haben – jedenfalls blieb der Thron mit th. Das erlaubt einen Rück-schluss auf die Entstehungszeit des Briefes.
Quellen:
https://de.wikipedia.org https://www.ebay.de/ bzw. .at/
https://www.deutsche-biographie.de https://www.zvab.com/
https://www.google.de, /Maps, /Bilder https://www.abebooks.co.uk/ bzw. .com/
https://www.iberlibro.com/ https://digital.zlb.de/