Diese Kaminuhr aus patinierter Bronze bzw. brüniertem Messing mit feuervergoldeten Applikationen wurde um 1830 in Frankreich hergestellt. Das Gehäuse besteht aus der plastischen Nachbildung eines Berges, auf dem ein Turm und eine kleine Kapelle stehen. Im Turm ist das Uhrwerk eingebaut, ein Pariser Pendulenwerk mit einem fadenaufgehängten Pendel und einem Schlagwerk mit Stunden- und Halbstunden-Schlag. Im Inneren des Gehäuses befindet sich ein separates Federwerk, das die verschiedenen Funktionen der Uhr antreibt: Das Wasserrad einer Mühle dreht sich; unter dem Wasserrad erzeugen zwei gewundene, sich drehende Glasstäbe den Eindruck von fließendem Wasser in einem versilberten Bachlauf. Die Wetterfahne der Kapelle ist ebenfalls in Bewegung. Am eindrucksvollsten aber ist die Bewegung des optischen Telegrafen selbst, dessen Flügelarme in unregelmäßiger Folge verschiedene Zeichen wiedergeben.
Optische Telegrafen wurden von dem Techniker Claude Chappe (1763-1805) erstmals während der Französischen Revolution errichtet. Sie bestanden aus einem Holzgerüst, an dem ein 4,60 Meter langer schwenkbarer Querbalken befestigt war. An jedem Balkenende war ein 2 Meter langer und ebenfalls schwenkbarer Arm angebracht. Über Rollen und Seile ließen sich diese drei Arme in 45°-Winkeln so verstellen, dass man 196 verschiedene Zeichen bilden konnte. Die Signalanlagen wurden in einem Abstand zwischen neun und zwölf Kilometern auf Türmen oder hohen Gebäuden errichtet, so dass man mit einem Fernrohr die Zeichen der Nachbarstation erkennen und an die nächste weitergeben konnte. Die erste Telegrafenlinie von Paris in das 260 km entfernte Lille wurde 1794 eröffnet und hatte 22 Stationen. Bis 1845 entstand ein 2500 km langes Telegrafennetz, das Paris mit allen wichtigen Städten des Landes verband.
Die Übertragung der Telegramme war recht langwierig; Unwetter, schlechte Sicht oder einsetzende Dämmerung sorgten für Verständigungsprobleme und Verzögerungen. Im Schnitt waren die Stationen nur zwischen drei und sechs Stunden täglich in Betrieb. Trotzdem war der Zeigertelegraf im Vergleich zu berittenen Boten unschlagbar schnell. Kein anderes Medium ermöglichte es, Nachrichten in so kurzer Zeit über weite Distanzen zu übertragen. Davon profitierte vor allem die französische Wirtschaft – etwa durch die Verbreitung von Börsenkursen.
Das Uhrwerk wurde von H. Castor in Paris gefertigt. Hersteller des Gehäuses war einer der zahlreichen Bronzefabrikanten, die Serienuhrwerke kauften, in ihre Gehäuse einsetzten und für den Vertrieb sorgten. Kamin- oder Tischuhren (Pendule, Mantel Clock) mit einem von einem Automaten angetriebenen optischen Telegraphen waren im französischen Bürgertum der zwischen 1805 und 1840 recht beliebt, da das aufstrebende Bürgertum wirtschaftlich am meisten vom Telegraphen profitierte. Es sind mehrere sehr unterschiedliche Exemplare bekannt, meist aus den 1820er oder frühen 1830er Jahren.
Laut Auskunft des Vorbesitzers stammt diese Uhr aus dem Besitz von Jean-Georges Humann (1780 - 1842), was durchaus pikant ist, denn Humann war in einen großen Skandal um den optischen Telegrafen verwickelt. Der in Straßburg geborene Humann stammte aus kleinen Verhältnissen. Nach einer Lehre als Tabakhändler gründete er 1799 ein kleines Handelsgeschäft und brachte es bis 1810 durch Schmuggelgeschäfte mit britischen Waren während der Kontinentalsperre zu einem ansehnlichen Vermögen. Nachdem er sich während der Hungersnöte von 1812 und 1816/17 bei der Getreideversorgung der hungernden Bevölkerung hervorgetan hatte, wurde Humann 1820 Abgeordneter. Zunächst engagierte er sich beim Bau des Rhein-Rhone-Kanals. Ab Mitte der 1820er Jahre war der umtriebige und gut vernetzte Humann als Investor an mehreren großen Industrieprojekten beteiligt, etwa im Salzbergbau. Gleichzeitig machte er Karriere als Abgeordneter und wurde nach der Julirevolution im Oktober 1832 Finanzminister im Kabinett von Nicolas Jean-de-Dieu Soult, der gleichzeitig Kriegsminister war. Zu seinen Kabinettskollegen gehörten Innenminister Adolphe Thiers und Jean Charles Persil als Justizminister und Generalstaatsanwalt.
Während ihrer Amtszeit brach 1833 in Spanien mit dem Karlistenkrieg ein Bürgerkrieg aus, in dem sich die Franzosen militärisch auf der Seite von Regierung und Liberalen engagierten. Gleichzeitig tobte in Portugal der Miguelistenkrieg zwischen dem legitimen Regenten Don Pedro und seinem Bruder Don Miguel. Beide Konflikte vermischten sich, da sich die einander gegenüberstehenden Parteien - die liberal-föderalistische und die ultrakatholische-zentralistische - in beiden Ländern gegenseitig unterstützten.
In Portugal siegte Don Pedro 1834 mit englischer Hilfe in der Schlacht von Asseiceira und Don Miguel musste im Vertrag von Evora Monte auf die Krone verzichten. Dies bedeutete auch eine Niederlage für die Partei der Karlisten in Spanien. Die Nachrichten aus Spanien wurden über den optischen Telegrafen nach Paris übermittelt, dort aber zurückgehalten. Diese kurze Zeitspanne nutzten einige Regierungsmitglieder, um durch Spekulationsgeschäfte mit spanischen Staatsanleihen an der Pariser Börse ein riesiges Vermögen an sich zu bringen. Darunter befanden sich Premierminister Marschall Jean-de-Dieu Soult, Innenminister Adolphe Thiers, Justizminister Jean Charles Persil und eben Finanzminister Jean-Georges Humann.
Insbesondere der gerade zum Innenminister ernannte Thiers nutzte den optischen Telegrafen, um im Voraus informiert zu werden und wurde durch Insidergeschäfte reich. Er wurde wegen «Manipulationen” angeklagt, jedoch wurde der Prozess niedergeschlagen. Alle Beteiligten - auch Humann - gingen unbeschadet aus der Affäre hervor. Es bleibt offen, ob die Kaminuhr im Hause von Jean-Georges Humann ein selbstbewusstes Statement war, mit dem er selbst auf die Affäre anspielt oder ob er sie schon vorher besaß. Angesichts der Entstehungszeit der Uhr, die wohl eher aus den 1820er Jahren stammt, ist letzteres jedoch wahrscheinlicher.
Allerdings mussten es sich Humann gefallen lassen, offen verspottet zu werden. Die Karikatur "Le Moulin du Télégraphe" von Honoré Daumier in der Zeitschrift "La Caricature" vom 16. Oktober 1834 zeigt einen optischen Telegrafen, der auf einer Mühle montiert ist. Auf dem großen Signalarm befindet sich der Schriftzug "Nouvelles d'Espagne". Aus der Mühle heraus kommen Thiers, Humann, Soult und Persil, die Säcke voller Geld schleppen. Oben aus dem Fenster schaut - als Müller gekleidet - König Louis Philippe von Frankreich, dem Treiben zu, ebenso wie Antoine Maurice Apollinaire d'Argout, der Gouverneur der französischen Zentralbank.
Auch literarisch wurde die Affäre verarbeitet: Im Roman "Der Graf von Monte Christo" von Alexandre Dumas bestraft der unschuldig verurteilte Edmond Dantés einen der Verschwörer, die ihn in den Kerker gebracht haben. Dieser - Baron Danglars - hat es zum vermögendsten Bankier von Paris gebracht. Als Graf von Monte Christo verstrickt ihn Dantés in weitreichende Finanzgeschäfte. Der geldgierige Danglars kauft wie Dantés spanische Staatsanleihen. Dantés aber besticht einen unterbezahlten Telegrafisten der optischen Telegrafenlinie, die falsche Nachricht vom Sturz der spanischen Regierung durchzugeben. Danglars verkauft seine Anleihen in Panik und mit Verlust. Nachdem Danglars ruiniert ist, muss dieser vor dem Bankrott nach Italien fliehen. Humann selbst wird an anderer Stelle in dem Roman namentlich erwähnt: Im Kapitel "Das Frühstück" spielt Dumas auf Humanns Vergangenheit als Schmuggler und Lobbyisten der Tabakindustrie an und nimmt Bezug auf Humanns unpopuläre Verbrauchssteuerreform. Dies zu lesen blieb Humann allerdings erspart: "Der Graf von Monte Christo" erschien erst 1844, zwei Jahre nach seinem Tod.
Zitiervorschlag
Kaminuhr (Pendule) mit Funktionsmodell eines optischen Telegrafen nach Chappe aus dem Besitz von Jean-Charles Humann, 1820; Museumsstiftung Post und Telekommunikation, Inventarnummer: 4.2006.474,
URL: https://onlinesammlung.museumsstiftung.de/detail/collection/9c1dcd1a-73e6-4c16-99ed-e831ba97b57a (zuletzt aktualisiert: 26.11.2024)