Transliteration:
Hamburg, den 8. April 1878
Lieber Carl,
die Nachricht von Deiner glücklichen Ankunft in Deiner
Heimat hat mich sehr erfreut. Deine Trennung von ihr
hatte mich sehr, sehr traurig gemacht. Es war zwar
nur eine kurze Zeit, die ich mit Dir verlebte, aber
Du hast mein ganzes Herz, meine ganze Liebe mitgenom-
men. Noch nie habe ich jemanden gefunden, mit dem meine
Denkweise, meine Ansichten und Wünsche so übereingestimmt
hatten wie bei Dir. Wenn auch weit von mir getrennt,
bist Du meinem Herzen so nahe wie zuvor. Und [so]
rufe ich Dir meine treu gemeinten Freundschaftswünsche
aus der Ferne zu. Gott gebe, dass es Dir in der
Heimat immer recht gut gehen möge, dass
Du Deine Tage im Kreise Deiner neuen Bekannten
heiter bei Gesundheit und Frosinn
verbringst und kein Unheil Deine Beschaulichkeit stören
möge. Wenn ich noch den Wunsch hinzufüge, dass
uns das Schicksahl bald wieder einmal
zusammenführen möge, so weiß ich zwar
nicht, ob Dir daran gar so viel daran
liegen wird und ob es Dir nicht sogar in
Deinen neuen Verhälnissen viel besser gefällt
als hier in Hamburg. Aber das
weiß ich, dass Deine Rückkehr für mich ein
höchst erfreuliches Ereignis sein würde und dass
Du auf der ganzen Welt keine Freundin
finden kannst, die Dich mehr als ich liebt.
Sei wieder heiter und froh!
Das wird die wahre Heiterkeit, die
aus einem zufriedenen und bescheidenen Gemüt stammt.
Die Heiterkeit ist fast nicht zu überschätzen,
und der Frohsinn darf geradezu als Tugend bezeich-
net werden. Durch Heiterkeit wird nicht nur das
eigene Leben verlängert, sondern sie verschönt auch unsere
ganze Umgebung. Der Frohsinn umgibt besonders die
Jugend mit einem eigenem Zauber. Es ist dieser Zauber,
der verjüngend auf uns wirkt und [es ist] ein Glück für Dich, dass
es in Deiner Macht steht, ihn zu erhalten.
Er ermöglicht Pflichterfüllung, Gottvertrauen und
Liebe. Wir alle rufen ihn zurück.
Wenn Du Rat und Hilfe brauchst,
so wende Dich ruhig an mich
Ich muss [jetzt] weg.
Es grüßt und ...
Deine Johanna.
Lebewohl und schreibe mir mal wieder, ich bin schon aufgeregt.
Anmerkungen:
Der Brief korrespondiert mit einem weiteren Objekt des Museums für Post und Kommunikation Berlin, einem offensichtlich danach von Johanna an ihren kurz zuvor abgereisten Geliebten Carl geschriebenen Brief vom 03. Juli (ohne Jahresangabe). Da der Briefumschlag mit der Adresse fehlt und auch im Text keine weiteren Hinweise zu beiden Personen enthalten sind, bleiben Absender und Empfänger des Briefes bis auf die Vornamen und den Absendeort Hamburg unbekannt. Der Text wurde im Zeitgeschmack und wenn die eigenen Worte fehlten, mit Zitaten aus einem »Haussekretär« (Vorlagen usw. für alle Gelegenheiten) und der Erbauungsliteratur angereichert, jedoch wie der ganze Brief grammatikalisch und orthografisch eigenwillig.
Der Brief fällt in die Zeit kurz vor Erlass des Sozialistengesetzes vom 21.10.1878, als die Freie und Hansestadt Hamburg sich von dem großen Stadtbrand vom 5. bis 8. Mai 1842,
der 1/3 der Innenstadt vernichtete, wieder erholt hatte, wirtschaftlich durch Handel und Schifffahrt florierte, 1867 dem Norddeutschen Bund beigetreten war, 1871 ein Bundesstaat
des Deutschen Reiches wurde und 15 Umlandgemeinden in Vororte umgewandelt wurden, ein bedeutender Umstiegsplatz für Auswanderer war und die Entfestigung der Stadt vor ihrem Ende stand (Entfernung der Wallanlagen 1820 –1880). Das aufstrebende Hamburg war auf dem Weg in die Moderne.
Das großzügig gestaltete Briefpapier des Briefes von 1878 ist ein Beispiel der bekannten Kanningschen Briefbögen mit den kolorierten Kreide- und Federlithographien auf dem ganzen Bogen. Von den dekorativen, lebendig und kräftig kolorierten Ansichten auf der Vorderseite der einfach gefalteten unbeschriebenen Bögen existieren eine Vielzahl unterschiedlicher Hamburger Motive. Der Lithograph und Drucker David Martin Kanning (1806-1884) betrieb von 1844 bis 1878 eine lithographische Anstalt in Hamburg. Neben großformatigen Lithographien und dem Briefpapier erschienen ab 1866 auch Modellbaubogen, die Kanning selbst oder sein Mitarbeiter Schöpel entwarfen. Diese zählen zu den schönsten ihrer Art und zeichnen sich ebenfalls durch eine sehr große Sorgfalt und Detailtreue aus. 1878 ging die Firma dann an Jakob Ferdinand Richter über, der 1851 eine Verlagsbuchhandlung, Buch- und Zeitungsdruckerei gegründet hatte. Richter druckte die von Kanning erworbenen Vorlagen unverändert weiter und änderte nur die Verlagsbe-zeichnung. Die in großer Stückzahl gedruckten bildlichen Darstellungen waren für die Verlage ein einträgliches Geschäft.
Lithograph/Lithograf (von altgriechisch lithos = Stein und graphein = schreiben): Beruf aus der Drucktechnik. Der Lithograf überträgt eine der Druckvorlage möglichst genau entsprechende Kopie manuell und seitenverkehrt auf den Lithografiestein (Kalkschieferstein aus Solnhofen in Bayern). Der Druck vom Stein ist die Lithografie. Der Steindruck war
im 19. Jahrhundert das einzige Druckverfahren, das größere Auflagen farbiger Drucksachen ermöglichte und basierte auf einer Erfindung von Alois Senefelder aus dem Jahr 1798.
Quellen:
http://de.wikipedia.org
http://synonyme.woxikon.de
http://www.swissmodellbogen.ch
http://www.antiquariat.de
Zitiervorschlag
Liebesbrief von Johanna an Carl auf kanningschem Briefkopfbogen "Erinnerung an Hamburg" mit Ansichten von Hamburg und Abbildung von Vertretern typischer Berufe, 08.04.1878; Museumsstiftung Post und Telekommunikation, Inventarnummer: 3.2011.1510,
URL: https://onlinesammlung.museumsstiftung.de/detail/collection/42cb0e29-5ad2-4fe6-bc31-d21af0c3055e (zuletzt aktualisiert: 26.11.2024)