Der Künstler wurde 1870 in Culm geboren und beging nach schweren Kriegsverletzungen 1917 in Frankreich Selbstmord. Er studierte an der Kunstakademie Königsberg bei Georg Knorr und Carl Constantin Heinrich Steffeck, anschließend an der Kunstakademie Berlin bei Hugo Vogel und Josef Scheurenberger. Ernst Bischoff-Culm war Mitglied der Berliner Secession.
In einem gutbürgerlichen Ambiente empfängt ein Korpsstudent den Geldbriefträger, um seinen monatlichen elterlichen Unterhalt in Empfang zu nehmen. Der Zusteller ist eingetreten, während der Empfänger sich mit Wohlbehagen und Nonchalance in seinem Stuhl räkelt, die Tonpfeife in der Hand. Die achtlos auf den Boden geworfene Zeitung und die beiden leeren Bierflaschen im Hintergrund zeugen von studentischem Müßiggang. Auf dem Tisch steht noch das Frühstücksgedeck: Neben einer Glaskaraffe erkennt man ein Porzellangeschirr, eine auf dem Tisch liegende Frühstückssemmel und weiter vorn ein zugeklapptes Haushaltsbuch. In der bourgeoisen Haltung des Studenten drückt sich das Standes- und Selbstbewusstsein gegenüber dem Angehörigen einer niedrigeren Gesellschaftsschicht aus, dem der Hoffnungsträger relevanter gesellschaftlicher Positionen bestenfalls mit Jovialität begegnet. Auf dem Tisch liegen aufgereiht 120 Reichsmark, aufgeteilt in fünf goldene Zwanzig-Markstücke und vier silberne 5-Markstücke. Auch darin drückt sich, gemessen an den zeitgenössischen Verhältnissen, die Wohlhabenheit des Dargestellten aus. Der Kontrast zwischen dem Briefträger in schlichter Dienstuniform und dem überheblich dargestellten Studenten enthält eine moralisierende Note. Accessoires wie die Tonpfeife und Geldstücke unterstützen diesen Eindruck, indem sie traditionell, insbesondere in der Niederländischen Malerei der 17. Jahrhunderts, Vergänglichkeit und Müßiggang symbolisieren. Bischoff-Culm stand dem deutschen Realismus nahe.
Das Gemälde entstand zu einer Zeit, als er sich während seiner Aufenthalte in der Künstlerkolonie in Nidden mit dem Impressionismus auseinandergesetzt hatte, wovon in unserem Gemälde allenfalls der teils lockere Pinselstrich, die Lichtregie sowie die Wahl der gedeckten Farben zeugt. Das Gemälde wurde am 30.12.1894 für 250,- RM vom Reichspostmuseum unter dem Titel "Geldbriefträger und Empfänger" direkt bei dem in Königsberg lebenden Ernst Bischoff-Culm erworben. In Privatbesitz befindet sich eine zweite Version des Gemäldes, die ins selbe Jahr datiert. Vermutlich handelt es sich bei dem dortigen Werk um eine Zweitfassung des Künstlers.
Zitiervorschlag
Gemälde "Der Geldbriefträger", 1894; Museumsstiftung Post und Telekommunikation, Inventarnummer: 4.0.806,
URL: https://onlinesammlung.museumsstiftung.de/detail/collection/c6288e19-1ee2-45dd-b8ab-69ba9ffb0da0 (zuletzt aktualisiert: 26.11.2024)