Berlin, den 2. Februar 1842
Meine innigst geliebten Eltern,
sehr habe ich mich über Euren letzten Brief gefreut, hauptsächlich darüber, dass ich doch solider bin, als Ihr es mir zu-
traut. Ich bin nämlich am Sonnabend nicht auf dem Ball, wie Ihr anzunehmen scheint, sondern still zu Hause gewesen. Die guten Ermahnungen dazu
kamen also vollkommen zur rechten Zeit, da ich erst übermorgen bei dem Taglionschen Ball im Opernhaus davon Gebrauch machen werde.
Es geht mir Gott sei Dank gut. Ich bin gesund und froh und so sparsam, dass ich sehr gut auskommen werde, vielleicht noch
bis zum ersten März. Bei Kölpins bin ich sonntags nach wie vor, ausgenommen einmal, wo ich bei Bekannten zum Frühstück gebeten war, was mich das Mittag ver-
essen ließ. Bei meinem Doktor bin ich auch wieder zweimal gewesen. Es ist da ziemlich langweilig; nicht so bei Eberts, wo ich abends häufiger gewesen bin. Dass Liszt nicht nach Stettin gegangen, tut mir sehr leid. Ihr habt dadurch einen unendlichen Genuß verpasst. Einmal habe ich ihn in der Singakademie gehört, wo ich den Ebertschen Mädchen zu Gefallen hinging (die gerne meinen Schutz haben wollten und deren Brüder verhindert waren). Und wahrhaftig hat mich kein dafür ausgegebener Taler gereut. Zweimal darauf haben wir Glückspilze von Studenten die Freude gehabt, ihn in der Aula zu hören. Das erstemal einen Tag später,
als ich meinen letzten Brief bei Ebert schrieb, der mich zum Frühstück eingeladen hatte, in welchem wir die Reste eines Herrenkränzchens, festen und flüssigen Inhalts, zu uns nahmen, dass bei Ebert den Tag vorher gewesen war.
Das zweite Mal am vergangenen Dienstag. Beide Male um Mittag herum zwischen 12 und 15 Uhr. Der Andrang nach Karten war ungeheuer, da nur die Hälfte eingelassen werden konnte. Ich bin beide Male so glücklich gewesen, eine zu bekommen. Dabei haben wir einen großen Kampf mit den Professoren gehabt,
die das erste Mal bis 200 Karten für sich zurück behielten, sich das zweite Mal hingegen auf 30 beschränkt haben. Es war nämlich das erste Mal am Tag
vor dem Konzert am Schellingschen Auditorium ein Anschlag erschienen (der 4 Fragen enthielt). 1.) Gibt Liszt das Konzert für Professoren oder Studenten? (er hatte nämlich das letzte mehrfach geäußert.) 2.) Wer kann eher 1 Taler bezahlen, ein Professor oder ein armer Student? Dies hatte dann die Wirkung, dass auch beim ersten Mal fast die Hälfte der zurückbehaltenen Karten wieder zurück geschickt wurde. – Niemand hat wohl so leicht bei den Damen hier so viel Glück gehabt, wie Liszt. Alle sind ganz verrückt nach ihm. Ich glaube, halb Berlin weiblichen Geschlechts stände ihm zur Verfügung. Seine Bilder in allen möglichen Formen überschwemmen Berlin. Ich habe selbst eins dergleichen, ein Flachrelief aus Gips, einer Dame geschenkt. Wir haben ihm das erste Mal ein elegantes Ständchen im Saale des Hotel de Russie gebracht und ihn hochleben lassen und ihn beim zweiten Mal mit einem herrlichen Gaudeamus, über welches Lied er uns zuletzt eine zauberhafte Phantasie vorgertragen hatte, nach Hause begleitet. Sobald er unsere Absicht bemerkte, stieg er aus dem Wagen und ging voran, 1600 Studenten singend hinterher. Ob ihm die Ohren da wohl geklungen haben? Doch nun genug davon.
(Fortsetzung Blatt 2)
Wollt ihr näheres wissen, so steht in der Vossische Zeitung von heute darüber ein Bericht. Am Montagmorgen bekam ich einen sehr freundlichen und ent-
schuldigenden Brief von Minutoli, der schwarz gesiegelt war, worin er den Tod zweier Verwandten gleich nach meiner Ankunft, eine lange Abwesenheit sowie Rück-
kehr seiner Mutter und deren Krankheit als Entschuldigung angab, weshalb er sich nicht hätte sehen lassen. Und lud mich gleichzeitig zum Montagmittag ein, da
sich seine jetzt wieder genesene Mutter freue, meine Bekanntschaft zu machen. Ich ging hin und wurde von beiden sehr freundlich aufgenommen. Und es wurden mir viele Empfehlungen an Euch aufgetragen (auch an Mutter unbekannterweise von Frau von Menu). Es waren etwa 14 Personen dort, mehrere Offiziere und eine
bildhübsche Frau, eine Geheimräthin von Lattorf mit einer erwachsenen Tochter.
Heute Vormittag ist Minutoli bereits wieder bei mir gewesen, hat mich aber natürlich nicht angetroffen. Bei Wetzels bin ich neulich abends gewesen aber nicht vorgelassen worden. Heinrich ist wohlauf, er schwärmt viel und hat mir gleich nach meiner Ankunft Schmalz sowie einmal ein Ende Knackwurst geschickt. Weshalb das Feuer im Schlosse damals ausgebrochen ist, wisst Ihr wahrscheinlich bereits. Nämlich wegen des Backofens, den man zum ....(?)fest zu stark angeheizt hatte. Und zwar deshalb, weil am anderen Tage so viele arme Ritter gebacken werden sollten. – Mein englischer Lehrer ist, nachdem er sich noch einen Monat im Voraus hat bezahlen lassen, auf und davon gegangen. Glücklicherweise hatte ich mir die vielen englischen Bücher, die er mir anzuschaffen vorschlug, noch nicht gekauft. Da sich eine so günstige Gelegenheit so bald nicht wieder bieten wird, werden [wir] die Stunden nun wohl auf sich beruhen lassen - fürs erste wenigstens. Wir waren nämlich zu viert und gaben zusammen 8 Gute Groschen. Dass Ihr Geliebten wieder einmal durch Feuer erschreckt wurdet, wusste ich bereits, da ich gewöhnlich jede Woche einmal zu d´Heureuse gehe, eine Tasse Schokolade für 2 ½ Silbergroschen trinke und dabei unsere Heimatzeitung studiere, um mit meinem lieben Stettin ständige Verbindung zu halten. Denn die Briefe von dort laufen gar zu spärlich ein. Ihr seid doch zwei gegen einen und noch dazu gegen einen, der mitunter sehr viel zu tun hat. D´Heureuse ist übrigens der einzige in ganz Berlin, der sich zu der kulturellen Höhe aufgeschwungen hat, unser interessantes Zeitungsblatt zu halten, während man die Zeitungen aller übrigen Provinzhauptstädte in jeder Kneipe findet. – Ich hoffe, dass unser Dach und Hof bereits wieder von der fußhohen Asche, die durch den Brand daraufgeflogen ist, wieder gereinigt sind. So wie die Überbleibsel aller fortgeflogenen vierfüßigen Viehherden sich auch wohl wieder auf der Erde gesammelt haben werden. – Was die offene Rechnung bei Rehkopf für eine Karaffe angeht, so könntest Du liebe Mutter, falls Du sicher weißt, dass es die für [die] Köllers ist und dass sie nicht etwa vom Mädchen für Euch geholt worden ist, wohl [jemanden] zu Köller schicken und ihn fragen lassen, ob er von Rehkopf eine Karaffe bekommen hat. Er sagte mir nämlich an Michaelis, als die Rede darauf kam, dass Rehkopf keine Karaffe geschickt habe und er auch keine braucht. Deshalb konnte ich auch nicht glauben, dass er eine in Rechnung gestellt habe und damit war dieser Posten für mich erledigt, Die Tragebänder habe ich gekauft, den Handschuh wahrscheinlich auch. Handschuhe ! o Handschuhe ! Ein höchst fataler Artikel, der mich so oft hindert, einen Besuch zu machen. Ein Paar fiel mir neulich wie Zunder auseinander. Auch damit wird man hier angeführt! Jetzt habe ich großen Hunger,
(Fortsetzung Blatt 3)
lebt wohl! Es ist 16 Uhr – um den Brief noch heute abzuschicken, schließe ich ihn schnell. An den Onkel,
dessen schlechtes Befinden mir herzlich leid tut, werde ich morgen einen Brief abschicken. Lulu sage ich meinen größten Dank für ihren hübschen, langen und ausführlichen Brief.
Alle interessanten Begebenheiten, die sie mir mitgeteilt [hat], haben mir viel Vergnügen gemacht. Ihr lieben guten Eltern, denkt häufiger schriftlich an Euren Sohn, dem nichts so viel Freude macht, wie ein Brief von zu Hause. Viele Empfehlungen an alle Bekannten und ebenso Grüße an unser Hauspersonal männlicher, weiblicher, zweiund vierfüßiger Art.
Tausendmal küsst Euch in Gedanken
Euer August
Berlin, den 4. Februar 1842, 17.45 Uhr