Der Maler, Bildhauer und Lithograf Niels Simonsen wurde 1807 in Kopenhagen geboren, wo er 1885 verstarb. Er studierte an der Königlichen Akademie Kopenhagen. Von 1834 bis 1845 lebte und arbeitete er in München, wo er 1842 Mitglied der Akademie wurde. 1848 wurde er schließlich Mitglied der Kopenhagener und 1864 der Stockholmer Akademie.
Der dänische Künstler Niels Simonsen malte die »Abfahrt einer Bayerischen Eilpostkutsche vor der Poststation Giglberg« im zweiten Jahr seines Münchenaufenthaltes im Alter von 28 Jahren. Im Vordergrund einer in zarten Tönen gemalten Alpenlandschaft hält eine bayerische Eilpostkutsche vor einem Posthaus. Durch die Fahrtrichtung in die Bildtiefe sowie mehrere Rückenfiguren wird der Betrachter ins Bild eingeführt. Im verlorenen Profil ist auf dem Kutschbock der Postillion zu sehen, der mit seinem Posthorn zum Aufbruch drängt. Die Kutsche ist beladen mit Gepäck und voll besetzt mit Reisenden. Deren Aufmerksamkeit gilt den Szenen rechts und links der Kutsche. Auf der linken Seite stürzt ein wohlhabender, beleibter und in einen teuren Pelzmantel gekleideter Mann, begleitet von Dienerschaft, aus der Wirtsstube heraus, während er sein Bier noch austrinkt. Eine Magd nimmt ihm von hinten die Serviette ab, ein Diener reicht ihm sein Fernrohr, während ein weiterer Bediensteter den Wagenschlag aufhält und eine vornehm gekleidete, junge Frau, vermutlich die Gattin des Reisenden, zum Aufbruch drängt. Die Szene gereicht zu allgemeiner Heiterkeit, ein Schmunzeln auf den Gesichtern der aus dem Wagen schauenden Reisenden und der Magd ist nicht zu verkennen. Im Coupé des Wagens sitzen ein alter Mann und ein Soldat. Der Alte kramt nach einem Geldstück, um es vermutlich dem zerlumpten Landstreicher rechts zuzuwerfen. Der Soldat hingegen blickt missmutig durch sein Lorgnon auf den Spätzügler links und hält seine Pfeife in der geballten Faust. Ein Student mit Pfeife und Mantel, der offenbar auch soeben das Wirtshaus verlassen hat, kann eben noch auf die Trittbretter der Kutsche aufspringen und zieht sich an der Tür hoch. Auf humoristische Weise wird hier die Pünktlichkeit der erst 1825 in Bayern eingeführten Eilpostkutschen thematisiert, für die kein Unterschied mehr zwischen Rang und Ansehen der verschiedenen Gesellschaftsschichten gemacht wurde und die damit eine liberale Form der Beförderung darstellt. Zugleich ist in der Gegenüberstellung von Reichtum und Armut eine moralisierende Note enthalten.
Charakteristisch für Werke dieser Zeit ist eine klare, sorgfältig ausgeführte Malweise mit viel Sinn für Schilderung von Stofflichkeiten sowie eine atmosphärische Wiedergabe von Licht, das hier Figuren und Weg indirekt beleuchtet und eine warme Nachmittagsstimmung erzeugt. Charakteristisch für Simonsen ist auch die romantisch-lyrische Schilderung der Natur, etwa des Gebirges und Himmels in zart abgestuften Blau- und Rosatönen. Das Gemälde war erstmals im April 1836 im Kunstverein Halberstadt ausgestellt und wurde in Schorn's Kunstblatt Nr. 53 vom 5. Juli 1836 rezensiert. Das Bild zählt zu den wenigen Werken Simonsens in deutschen Sammlungen, der überwiegende Teil befindet sich in öffentlichen Sammlungen in Dänemark. Die Darstellung scheint durch das in der Münchener Malerschule so beliebte Postkutschensujet angeregt zu sein, denn in Simonsens Oeuvre, das sowohl Genre- als auch Historienmalerei umfasst, ist es einzigartig.
Das Bild lässt sich nicht genau lokalisieren. Unter dem Dachfirst hängen zwei Schilder, auf einem der Schilder unter dem Dachfirst ist das Gebäude als "Poststation Giglberg" bezeichnet. Dafür kommen zwei Orte in Frage: Die Eine Poststation liegt an der Alten Poststraße von Eggenfelden nach Marktl, die nach der Postkarte von Bayern aus dem Jahre 1836 nicht dem Verlauf der heutigen Bundesstraße 20 folgt, sondern auf der Höhe von Wurmannsquick davon abzweigte und laut Karte dann ziemlich gerade auf Marktl zulief - entgegen der Topografie und den heute bestehenden Straßenverbindungen. Tatsächlich findet sich auf der historischen Karte in der Gegend, wo man die heutige Flurbezeichnung "Giglberg" lokalisieren würde, eine Poststation eingezeichnet. Die andere Möglichkeit befindet sich auf der Postverbindung zwischen Miesbach und dem Tegernsee, wo auf der Postkarte von 1836 die Poststation in Festenbach eingezeichnet ist, etwa zwei Kilometer westlich des dortigen Giglbergs. Denkbar ist allerdings auch, dass die Postverbindung von Miesbach zweitweise über Schweinthal und von dort direkt über den Giglberg nach Schuß und Ostin lief, wo sich eine weitere, nicht in der Karte eingezeichnete Poststation befand. Jedenfalls gilt dieser Ort als der wahrscheinlichere, da im Hintergrund die Berge des Wendelsteins zu sehen sind.
Zitiervorschlag
Gemälde "Abfahrt einer Bayerischen Eilpostkutsche vor Poststation Giglberg", 1835; Museumsstiftung Post und Telekommunikation, Inventarnummer: 4.0.6139,
URL: https://onlinesammlung.museumsstiftung.de/detail/collection/8d63c859-aeb7-4ccc-8a2a-e0249d2c8169 (zuletzt aktualisiert: 5.10.2024)