Transkription:
Triest am 14ten Juny 1851.
Mein süßes Lieb !
Ihr Laibacher Wunderbalsam hat wahrlich
Wunder gewirkt, ich habe ihn aber auch
mit der Weihe eines Entzückten ein=
geschlürft, denn ich bedurfte schon eines
Linderungsmittels für meine Schmerzen.
Ach Linchen, es ist doch wieder eine Portion von
Wien aus am (d.h. auf dem) Wege, nicht wahr? Morgen Sonntag
erwarte ich sie, ach daß es doch schon Sonntag wäre,
und aber ach, daß ich ihn ohne Ihnen verleben muß!
Linchen ich habe Ihre Zeilen Niemandem gezeigt, werde
auch Ihr Morgiges verschweigen, was ich umsoleichter
thuen kann, da ihr Papa gewiß von Wien aus an die
Tante schreibt. Die Tante ahnet gar nicht, daß Sie mir
von Pressb.[urg] schreiben werden, ja sie sagte vorgestern:
Mein Schwager wird gewiß von Wien aus schreiben, die L.[ina]
auf keinen Fall, denn bis die ihren Coffer auspackt, wird
es eine Weile brauchen; - ich schwieg und lachte ins Fäustchen,
Mir fiel sogleich Schillers Epigram¯ ein:
»Viele sind gut und verständig; doch zählen für Einen nur Alle
denn sie beherrscht der Begriff, ach! nicht das liebende Herz.« –
Solche Menschen haben nur ein halbes Leben, und haben
aus der Blume des Lebens nur Heu herausgefunden. –
Vorgestern besuchte ich die Tante, fand sie aber nicht zu
Hause und erfuhr vom Oncle, daß sie schon um 2 Uhr
N.M. in die Campagna Stettner ist mit den Kindern.
Dahin also wandt´ ich meine Schritte und zwar schweren
Herzens; vor dem Thore angelangt hielt man mich für
H. Fesch, denn er sollte die Emma in das Französische
Theater abholen, das Erstaunen war natürlich groß,
als man mich fand.
(Seite 2)
Auf meine Erklärung, daß ich eigentlich der
Tante eine Verdauungsvisite zu machen
beabsichtigte und blos darum hinaus kam,
bekam ich die zarte Erwiederung, ob ich
etwa auf dem Wege nach Laibach bin,
und wann ich Sie einzuholen gedenke.
Hoffmann frug mich, ob ich noch keine telegraf. Depesche
erhalten hätte, welches ich bejahte ihn versichernd, daß es nur
darum geschah, um ihn zu grüßen.
Genug die Unterhaltung war recht gemüthlich, und ward erst
feierlich als man mich der Schwester der Frau Stettner vor=
stellte, die übrigens sehr gutherzig et stille scheint.
Mittlerweile ward es finster, die Tante drag in Mlle Stettner
ihr noch einige Stücke auf den P. forte vorzuspielen, welches auch
bald geschah, mich ließ man bald alleine, ich pflückte eine sich halb
öffnende Rose, und setzte mich auf die Brüstung der Terasse.
Lina ich liebe die Rosen sehr, aber die Rose bei Stettner bleibt
mir unvergeßlich, denn sie sprach eine Sprache, die nur wir zwei
verstehen, Sie und ich!
Weich gestimmt durch die Töne vom Piano, voll Sehnsucht
nach Ihrer Nähe betrachtete ich die sich öffnende Rose, ja ich
ging weiter, ich hauchte ihr unwillkhührlich in den Kelch, siehe da
begann sie zu glühen, begann sich zu erschließen, und lachte
mir entgegen, in beständigem Wogen der Blätter, genug
ich küßte sie heftig und mochte lange so in Träume ver=
sunken geseßen haben, hätte man mir nicht vom Balcone
zugerufen,: Der Mond, der Mond! er bringt Ihnen Grüße!
Ich war wie niedergedonnert, verbarg schnell die Rose im
Busen und mischte mich in die Gesellschaft, fand den Mond
wirklich dumm aussehend, ging nichtssagend, als wäre der arme
Schuld, daß mich die Menschen necken.
Bald darauf ging es heimwärts, die Tante war recht liebens=
würdig, dankte herzlich für die Begleitung und lud mich für S. ein,
Ich aber eilte nach Hause, und hatte noch ein langes
Zwiegespräch mit der Rose, davon entzückt ging ich zu
Bette, und bald waren Sie jene Rose, und Ihr Glühen noch
süßer, vielleicht mein Hauch auch heißer. – –
Das Gestern verbrachte ich über dem Balsam.
Abds ging ich nach St. Andrea, wo ich ███ in die Gesellschaft
des Herrn Mendes gerieth, der mir recht gesprächig schien,
und vieles zu thun versprach, hat er Wort gehalten?
Heute Mittags war ich bei der Tante, und versprach in das
Boschetto zu kommen, sie ist schon recht neugierig auf den
Brief Ihres Papa. Heinrich hat heute ein Schr. vom Papa
bekommen, und wir ersehen daraus, daß er Sie pünktlich
in Wien erwartet, hat, wodurch ich sehr beunruhigt bin ward.
Wie fanden Sie den Papa mein Lieb? Sind Sie in
Wien verbleiben? Na morgen hoffe ich es ja zu erfahren.
Morgen speise ich bei K. Abds fahren wir nach Bortolo;
wie schaurig süß wird der Hain erscheinen? obwohl ich
fühle daß es beßer wäre, nicht hinzugehen, kann ich
doch nichts sehnlicher wünschen, denn ich habe den Schmerz der
Erinnerung stets dem öden Nichts vorgezogen und
warum
Soll ich denn nicht Krankheit nähren
Da Genesung nicht gelingt!
Welch süßes Gefühl »ruhig zu scheinen, da tiefer Gram
die Brust zerwühlt« Diejenigen die nichts fühlen, haben
leicht ruhig scheinen.
Mein Gesicht erscheine der Welt, wie dieses Schreiben
der Post, innen voll Hieroglyphen, die nur Eine versteht,
die Außenseite blanc und nur das Einzige sichtbar, daß
ich »An Caroline« gehöre.
Ja Linchen ich gehöre Ihnen und zwar Ewig ! Da aber
die Ewigkeit auch nur aus einer Reihe von Minuten besteht,
so sende ich Ihnen Minutenweise einen Kuß, und tausend
Grüße wovon einige an unseren guten Papa et die Tante Netti
Ich schließe, denn ich muß bezahlen. Gott mit Ihnen mein süßes süßes
Lieb ! + + +
Randtext: Linchen, ich mache Sie aufmerksam, daß man Ihre Couverts öffnen kann, wenn sie selbe nicht auch immer siegeln
Man kann die Seitentheile heraus ziehen; zwar geschah es nicht, doch es kann geschehen!
Anmerkungen:
Der Absender aus Triest ist unbekannt und wollte es auch bleiben. Den Brief zeichnete er mit +++, war im Brieftext auch auf Geheimhaltung bedacht und gab der Empfängerin Caroline Hofer aus Pressburg entsprechende Empfehlungen. Nur ihr gegenüber bekannte er schwärmerisch seine ewige Liebe, die nichts erschüttern könne, fürchtete sich aber vor ihrer Entdeckung und gab ihr wohl letztlich keine echte Chance. Die Umgebung schien aufgrund von erwähnten Anspielungen allerdings etwas von der Romanze zu ahnen und so sollte seine Geheimnistuerei vielleicht nur den Reiz des Verbotenen erhöhen. Nach der im Brief offenbarten Kenntnis der Verwandschaftsbeziehungen muss es sich um einen guten Bekannten oder Freund der Hofers in Pressburg gehandelt haben. Die Familie von Caroline Hofer war sicher eine sehr bedeutende bzw. bekannte Familie, die sich regelmäßig in den wichtigsten Städten Österreichs aufhielt und bei der als Anschrift außer dem Namen keine weiteren Angaben erforderlich waren. Der Name Hofer ist insbesondere in Österreich sehr verbreitet. Eine verwandtschaftliche Beziehung zu dem Tiroler Volksheld und Freiheitskämpfer Andreas Hofer (22.11.1767 - 20.02.1810) ist denkbar, denn ein Enkel Carl (1824–87) von diesem war Direktor des kaiserlich-königlichen Reichsfinanzarchivs, ist aber auf der Grundlage des Briefes nicht zu belegen.
Der Brief ist auf dem ersten Blatt links oben mit einer aufgeklebten gepressten Veilchenblüte geschmückt, bei der oben eines der paarigen Kronenblätter fehlt. Das Veilchen steht in der Blumensprache für Jungfräulichkeit, Demut, Bescheidenheit, Anstand, Paradies, Frühling und Hoffnung, Treue und Liebe. Eine weitere Bedeutung des Veilchens ist die Geduld.
Der Absender +++ kann danach so ziemlich jede Bedeutung in Bezug auf sich oder seine Angebetete gemeint haben.
Land und Orte in der Zeit:
- Österreich: heute ein demokratischer Bundesstaat, wurde 996 erstmals so genannt, wurde 1156 eigenständiges Herzogtum, ab 1438 besaß die Dynastie der Habsburger fast durchgehend die römisch-deutsche Königs- und die damit verbundene Kaiserwürde und. 1804 entstand unter Franz II. das Kaisertum Österreich. 1806 legte er unter dem Druck Napoleons die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation nieder, womit dieses zu bestehen aufhörte. Infolge der Niederlage Österreichs 1866 in der Schlacht bei Königgrätz war es nach der Auflösung des Deutschen Bundes nicht mehr an der Neugestaltung Deutschlands beteiligt.
- Triest (italienisch Trieste, slowenisch und kroatisch Trst) ist eine norditalienische Hafen und Großstadt an der Adria, heute direkt an der Grenze zu Slowenien. Von 1382 bis 1918 gehörte Triest zu Österreich und war dessen bedeutendster Hafen sowie Hauptstadt des Kronlandes Österreichisches Küstenland (Litorale). Es wurde erstmals vom griechischen Geografen Artemidor von Ephesos 104 v. Chr. erwähnt und war damals bereits römisch. Abgesehen von wiederholten Besetzungen durch Venedig und der napoleonischen Periode blieb es bis zum Ende des Ersten Weltkrieges Teil des habsburgischen Österreichs. Sein wirtschaftlicher Aufstieg begann 1719 mit dem Status eines Freihafens, 1849 wurde Triest reichsunmittelbare Stadt und 1850 Sitz der kaiserlich-königlichen Zentralseebehörde.
St. Andrea (Sant'Andrea): westlichste Landspitze im Hafen-Gebiet Triests, auf der heute der Staatsbahnhof liegt.
Boschetto: italienisch Wäldchen, Hain, Dickicht. Hier ist wohl der Giardino (= Garten) Boschetto, ein Park im Stadtzentrum, gemeint.
Bortolo: im nördlichen Triest gelegene Ansiedelung San Bortolo, später Barcola genannt.
- Laibach (österreichisch): slowenisch Ljubljana, die frühere Hauptstadt des Herzogtums Krain, ist heute größte und Hauptstadt von Slowenien und das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum. Bereits vor 6600 Jahren bestanden früheste Pfahlbauten im Laibacher Moor (ca. 160 km2, Weltkulturerbe). Seit 1000 v. Chr. existierten Siedlungen verschiedend-ster Kulturen und Herrschaften. Die urkundliche Erst-Erwähnung datiert von 1144, 1220 wird Laibach erstmals Stadt genannt und 1461 Bischofssitz. 1511 erlebt es sein erstes großes Erdbeben, weitere 1895 und 1897. Unter Napoleon war »Laybach« Hauptstadt der Illyrischen Provinz Frankreichs. 1849 wurde die Eisenbahnverbindung nach Wien erbaut und 1857 die Verbindung nach Triest. Mit dem Laibacher Wunderbalsam ist im Brieftext aber keine Arzenei gemeint, sondern Carolines Briefe aus Laibach.
- Wien: erstmals erwähnt 881, an der Donau gelegene Hauptstadt und bevölkerungsreichste (1/4 aller Einwohner) Großstadt Österreichs, war jahrhundertelang kaiserliche Reichshaupt- und Residenzstadt der Habsburger und damit als Hauptstadt des Heiligen Römischen Reiches, Kaisertum Österreichs und Österreich-Ungarns ein kulturelles und politisches Zentrum Europas. Bereits Im 1. Jahrhundert legten die Römer an der Stelle des heutigen Wiener Stadtzentrums ein Militärlager an. Die historische Altstadt, heute Großteil des 1. Bezirks, entsprach noch im Revolutionsjahr 1848 dem Stadtgebiet. Unter Kaiser Franz Joseph kam es dann 1850, 1890/92 und 1904/05 zu drei großen Stadterweiterungen.
- Pressburg (slowakisch: Bratislava; bis 1919: slowakisch Prešporok, tschechisch Prešpurk, ungarisch Pozsony) ist die größte und Hauptstadt der Slowakei, beiderseits der Donau direkt an der Grenze zu Österreich und Ungarn gelegen. Die erste nachgewiesene dauerhafte Besiedlung der Gegend erfolgte vor 7700 Jahren. Die Geschichte der Stadt wurde von zahlreichen Ethnien geprägt und war im Laufe seiner Geschichte eines der wichtigsten wirtschaftlichen und administrativen Zentren Großmährens, des Königreis Ungarn, Österreich-Ungarns, der Tschechoslowakei, des Teilstaates Slowakische Sozialistische Republik, der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik sowie der Tschechischen und Slowakischen Föderalen Republik. Insbesondere während der Herrschaft der Kaiserin Maria Theresia im 18. Jahrhundert erlebte die Stadt eine wirtschaftliche und kulturelle Blütezeitund die die Bevölkerungszahl verdreifachte sich. Unter ihrem Sohn Joseph II. setzte aber nach Überführung der Kronjuwelen nach Wien und der Verwaltungsaufgaben nach Ofen (heute Teil von Budapest) ein Bedeutungsverlust ein. Pressburg entwickelte sich in der Folge zum Zentrum der slowakischen Nationalbewegung. In Pressburg begann 1840 die erste Eisenbahnlinie im Königreich Ungarn (anfangs nur Pferde-)Bahn, die Bahnverbindungen nach Wien und Pest kamen 1848 und 1850 hinzu. Ende 19. Jahrhunderts wurde die Stadt umfassend modernisiert.
Campagna: italienisch = Landschaft, ländlicher Raum; hier im Sinne von Grundbesitz/Anwesen.
Stettner: seinerzeit betrieb der Drogist Julius Stettner eine sehr bekannte Firma in Triest.
Mlle, Mle oder Mlle: französische Anrede = mein Fräulein, stand früher für junge Mädchen aus dem gehobenem Bürgertum, gilt heute für jede unverheiratete Frau.
Piano forte, P. forte, Piano: Hammer-Klavier, von italienisch piano »leise« und forte »laut«, ein gegen Ende des 17. Jahrhunderts erfundenes Musikinstrument, mit dem anders als auf älteren Tasteninstrumente große dynamische Unterschiede durch unterschiedlich starken Anschlag der Tasten erreichbar sind.
Epigramm: kurzes Sinn-, Spottgedicht.
Depesche: veraltet für Telegramm.
Hieroglyphen: Zeichen der altägyptischen, altkretischen und hethitischen Bilderschrifte, auch wie hier für schwer oder nicht lesbare Schriftzeichen.
Couvert auch Kuvert: Briefumschlag, Versandverpackung des Briefes.
Das Petschaft (fälschlich auch die Petschaft) ist ein Stempel aus einem harten Material, mit dem ein Siegel in eine Siegelmasse (Siegellack usw.) eingedrückt werden kann.
Zeitangaben abgekürzt: N.M. = nachmittags, Abds = abends, S. = Sonntag
Quellen:
http://de.wikipedia.org
http://www.philaforum.com
http://www.stampsx.com
http://books.google.de