Der Künstler Adolphe Charles Geoffroy wurde am 31.12.1814 (nach anderen Quellen 1815) in Avignon geboren, sein Todesjahr ist nicht bekannt. Seine Ausbildung machte er bei Delaroche in Paris.
Die dargestellte Szene entführt den Betrachter auf eine Landstraße, in der sich eine idealisierte Darstellung der bei Rom gelegenen Via Appia vermuten lässt.
Vor einem bereits etwas verfallenen Brunnen mit einer Skulptur in einer Mauernische hat sich ein buntes Völkchen versammelt. Frauen in ländlicher Tracht waschen in dem Brunnenbecken ihre Wäsche, die sie in großen Körben herangetragen haben. Neben dem Brunnen sind Leinen gespannt, auf denen die saubere Wäsche zum Trocknen aufgehängt wird. Unmittelbar vor dem Brunnen hat auf der Landstraße ein Reiter angehalten, neben ihm stehen zwei weitere, ledige Pferde. Vom Pferde aus unterhält er sich mit den Wäscherinnen; eine von ihnen zeigt nach rechts, als wolle sie ihm den Weg weisen.
Auf der Landstraße, die an einem Meilenstein vorbei in Richtung des bergigen Horizonts führt, sind zahlreiche Reisende zu Fuß oder mit Maultieren unterwegs, aus der Ferne kommt eine große Reisekutsche heran, die von drei Pferden die leichte Steigung zu dem Brunnen im Bildvordergrund heraufgezogen wird - ob es sich bei dem schweren Wagen um eine Postkutsche handelt, kann nicht mit letzter Bestimmtheit gesagt werden.
Landschaftsbilder in der Art der hier gezeigten Straßenszene stehen in einer langen Tradition. Im 17. Jahrhundert waren es niederländische Künstler wie etwa Nicolaes Berchem, Cornelis van Poelenburgh oder Jan Baptist Weenix, die unter dem Eindruck ihrer Rom-Reisen ihre südlichen und warm-tonigen Landschaften häufig mit den Ruinen antiker Bauwerke und Monumente ausstaffierten und viele ihrer Malerkollegen damit inspirierten. Französische Maler wie Nicolas Poussin oder Claude Lorrain wiederum idealisierten und nobilitierten das Landschaftsbild, das in der Rangordnung der Gattungen bis dahin stets einen unteren Rang eingenommen hatte. Mit ihrer Landschaftsdarstellung prägten sie das Bild eines idealisierten Arkadiens, zudem fügten sie oft Elemente des Historienbildes in ihre Landschaften ein. Für die genannten Maler und ihre Zeitgenossen bzw. Nachfolger wäre es nahe liegend gewesen, eine Begegnung am Brunnen wie in unserem Bild beispielsweise als biblische Erzählung des Treffens von Jacob und Rahel am Brunnen zu schildern, um die Landschaftsmalerei mit dem hohen Stile der Historienmalerei zu erhöhen.
Nahezu zweihundert Jahre später hatten sich die Ansprüche an die Landschaftsmalerei geändert. Kleinmeistern wie Adolphe Geoffroy ging es weder um die Nobilitierung der Landschaftsmalerei noch um eine möglichst realistische Schilderung der Gegebenheiten in der römischen Campagna oder den Hügeln der Toskana, vielmehr könnte ihr Interesse vorzugsweise darin gelegen haben, den Geschmack eines wachsenden Publikums zu treffen, das Italien und die Straßen in die Ewige Stadt bereits aus eigener Erfahrung kannte. War im 17. und 18. Jahrhundert die Reise nach Rom als Teil der sogenannten »Grand Tour« ein Privileg des Adels oder einiger weniger Künstler, so wurde Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Schaffung immer besserer Verbindungen und regelmäßiger Postrouten das Erleben der Kunstschätze und Landschaftsschönheiten Italiens vermehrt auch für wohlhabende Bürger möglich. Deren Bedürfnisse nach einem Souvenir ihrer Reisen konnten Bilder wie die »Straßenszene auf der Via Appia« trefflich erfüllen, neben einem veränderten Kunstgeschmack dokumentieren sie im Detail zugleich die wachsende Mobilität neuer Gesellschaftsgruppen.
Zitiervorschlag
Gemälde "Vor dem Dorfbrunnen", 1845; Museumsstiftung Post und Telekommunikation, Inventarnummer: 4.0.6141,
URL: https://onlinesammlung.museumsstiftung.de/detail/collection/3b548f23-4851-4980-8d5f-c58c17f6f838 (zuletzt aktualisiert: 26.11.2024)