Der Künstler Franz Radziwill wurde 1895 in Strohhausen bei Rodenkirchen in der Wesermarsch geboren und starb 1983 in Wilhelmshaven. Bereits ein Jahr nach seiner Geburt, 1896, zog die Familie nach Bremen. Von 1912 bis 1914 war er Schüler an der Kunstgewerbeschule Bremen. 1922/23 ging Radziwill dann nach Dangast, ein Nordseebad am Jadebusen. Künstlerisch war er, mit Ausnahme eines Studienaufenthaltes in Dresden 1927/28 Autodidakt. 1933 wurde er an die Düsseldorfer Akademie berufen, wurde aber bereits 1935 wegen »pädagogischer Unfähigkeit« entlassen. 51 Bilder seines Frühwerks wurden von den Nationalsozialisten im Depot der Hamburger Kunsthalle entdeckt und als »entartete Kunst« beschlagnahmt. Während des Zweiten Weltkrieges diente er unter anderem als Soldat an der Westfront. 1959 wurde Radziwill Mitglied der internationalen Künstlergemeinschaft »Ciafma«. Im Jahre 1964 war er Stipendiat der Villa Massimo, Rom.
Franz Radziwills Gemälde zeigt die norddeutsche Deichlandschaft mit der Funkanlage des Senders »Norddeich« im Hintergrund am frühen Morgen. Farblich ist die Darstellung ganz vom fahlgelben Himmel, den Grün- und Brauntönen der Landschaft dominiert. Im Vordergrund bildet eine am Deich sitzende Figur mit einem roten Rock einen lebendigen Akzent. Die kleine Figur macht die Dominanz der Technik gegenüber Mensch und Natur deutlich. Die Vertikalen der Funkmaste und die Horizontalen von Landschaft und Meer bilden zwar eine Einheit, dennoch wird die Landschaft von ihnen »überragt«, so dass nicht von einer harmonischen, gleichberechtigten Einheit gesprochen werden kann.
Die Bildkomposition geht auf eine Postkarte aus dem Besitz des Künstlers zurück, die - abgesehen von der Farbigkeit - im Gemälde kaum verändert wird. Auf der Postkarte aus den 1920er Jahren sind nur sechs Antennenmasten sichtbar, während das Gemälde einen späteren Bauzustand zeigt; offenbar war Radziwill vor Ort oder nutzte eine andere, unbekannte Bildvorlage. Zu sehen sind im Gemälde drei der vier Antennentürme von 1905, zwei Masten von 1925 (von denen einer aus den Resten dreier umgestürzter Masten zusammengesetzt wurde) und drei Antennentürme für Kurzwelle von 1927/29. Einen der drei Türme von 1905 ließ Radziwill weg, da er halb verdeckt worden bzw. aus der Perspektive des Betrachters zu nahe an die anderen Türme herangerückt wäre und so die Komposition der einzeln in den Himmel aufragenden Masten beeinträchtigt hätte. Daher sind im Gemälde nur acht der neun Antennenmasten zu sehen.
Den schräg ins Bild laufenden Weg setzt der Künstler zentraler in den Vordergrund, so dass er optisch zu der Sendeanlage hinleitet. Franz Radziwill setzte sich in seinem Werk intensiv mit der Entwicklung von Technik und ihrer Auswirkung auf Mensch und Natur auseinander. Die Faszination von Technik, aber auch die Gefahr, die von dieser ausgehen kann, spielen eine entscheidende Rolle in seinem Werk. Oft stehen Bildsujets in direktem Bezug zu aktuellen Geschehnissen. Dabei vereint sein Werk zwei Pole: Die mythische Überhöhung von technischen Neuerungen einerseits, wie sie sich vergleichbar in den Werken der zeitgleichen Konstruktivisten und Futuristen finden, andererseits die vehemente Kritik an den zerstörerischen Folgen von Technik, wenn diese, wie in den beiden Weltkriegen, die Radziwill selbst miterlebte, missbraucht wird. Technische Errungenschaften und Einrichtungen werden daher von Radziwill in großer Bandbreite dargestellt. Der Sender »Norddeich« wurde 1907 in Betrieb genommen, um das Seefunkmonopol Englands zu brechen.
1933 wurde das Bild hymnisch als Sinnbild der wichtigen technischen Neuerung Rundfunk gepriesen. Dem Rundfunk sei die »Durchdringung des deutschen Volkes mit einem neuen, gesunden Geist«, gemeint ist der Nationalsozialismus, zu verdanken, heißt es in einer zeitgenössischen Publikation. Dabei übersah man wohl die Figur, die Radziwill sinnend mit Blick in die Ferne an den Deich gemalt hatte. Ihr Anblick regt auch den Betrachter zum Nachdenken an. Durch einen Rock in kräftigem Signalrot hebt sie sich deutlich von den gedeckten Farben der übrigen Umgebung ab. Folgt man in Gedanken ihrem Blick über das Meer an den Horizont, gleitet er zu einem Segelschiff und dahinter zu einem kleinen, schwarzen Punkt, der als Umriss eines Kriegsschiffes auszumachen ist. Im selben Jahr malte Radziwill mit dem Bild »Der Stahlhelm« eine eindringliche Metapher für die Gräuel des Krieges, die er als Soldat im Ersten Weltkrieg selbst erlebt hatte: Unter einem Stacheldrahtzaun, dessen hölzerne Pfosten sich wie Pfeile in die aufgerissene Erde bohren, liegt ein angeschossener Helm über einem Schädelknochen. 1934 wurde das Bild zusammen mit dem Gemälde »Die Straße« auf der Biennale in Venedig gezeigt.
Zitiervorschlag
Gemälde "Sender Norddeich", 1933; Museumsstiftung Post und Telekommunikation, Inventarnummer: 4.0.849,
URL: https://onlinesammlung.museumsstiftung.de/detail/collection/1f78d2a1-a208-4760-9e81-c3a517ed3b78 (zuletzt aktualisiert: 4.5.2025)