Der Künstler Stefan Sous wurde 1964 in Aachen geboren. 1990-1996 studierte er an der Kunstakademie Düsseldorf bei Tony Cragg. Er lebt und arbeitet in Düsseldorf.
Stefan Sous verfolgt das Prinzip der Demontage: Er baut Alltags- und Gebrauchsgegenstände auseinander und fügt sie als fragile Hängekonstruktion wieder zusammen, ohne dass die Teile ineinandergreifen. Nach dem Prinzip von Explosionszeichnungen – das ist der Begriff für Illustrationen funktionaler Zusammenhänge in technischen Handbüchern oder Gebrauchsanleitungen – spannt der Künstler die Konstruktionsteile auf dünne Stahlseile. Auseinandergebaut schweben sie wie eine dreidimensionale Zeichnung im Raum und offenbaren ihre real selten wahrgenommene Komplexität, die das einzelne Element erst im Zusammenhang aller Teile begreifbar macht. Zudem entfaltet sich in der verfremdeten freischwebenden Präsentation eine ungeahnte Dynamik und Bewegung jenseits des realen nüchtern-sachlichen Funktionszusammenhangs. Stefan Sous behandelt die Dinge aus der Perspektive eines Bildhauers, der in seinen Skulpturen die raum- und formbezogenen Kräfte herausarbeitet – die ehemals geschlossenen Körper werden transformiert und entfalten energetische Kräfte. Anlässlich der Neueröffnung des ehemaligen Reichspostmuseums als Museum für Kommunikation Berlin verwandelte Sous eine hundert Jahre alte Postkutsche, deren Bestandteile nahezu kugelförmig um einen imaginären Mittelpunkt, d. h. das gedachte Epizentrum der Explosion, gruppiert sind. Die Skulptur ist über Kopfhöhe des Betrachters aufgehängt und kann von unterschiedlichen Blickpunkten innerhalb des Museums betrachtet werden, da sie oberhalb des ersten Stockwerks auf der Galerie mit Ausrichtung zum Kuppelsaal platziert ist und auch von den gegenüberliegenden Galerien sichtbar ist. Die starke Raumbezogenheit, die Offenheit von Architektur und Öffnung der Struktur des Kunstwerks treten in Wechselbeziehung und verweisen metaphorisch auf die Ausdehnung und Öffnung von Strukturen und Medien der Kommunikation. Es entsteht ein nahezu paradoxer Zustand zwischen Statik und Bewegung, Fortstreben und Stillstehen. Die historische Postkutsche wird durch ihre Verwandlung im Sinne der Überschreitung von Zeit und Raum zum Symbol einer Brücke zwischen historischen und modernen Kommunikationsformen. Stichworte wie integrierte Systeme, Vernetzung, Auflösung von Informationen in digitale Daten, Auslagerung, Ausbreitung und Ausdehnung lassen sich darauf beziehen. Zur Anbringung im Museum für Kommunikation Berlin erläuterte Stefan Sous: »Der Raum mit seinen vielseitigen Strukturen, den Galerien und seiner ganz besonderen Atmosphäre lässt sich nicht schlicht in acht Oktanten aufteilen, in dem ein geometrisches Gebilde hin- und herzuschieben ist. Meine gedankliche Hilfskonstruktion ist eine Mischung aus einem rechtwinkligen System und einem strahlenförmigen, sich in alle Richtungen, also auch nach unten ausdehnenden System. Seine Radiusvektoren breiten sich vom Nullpunkt aus, dem Epizentrum einer Explosion gleich. Die festgehaltene Situation beschreibt also nur eine Etappe, friert eine schnelle Bewegung ein, die aber vom Betrachter weiter erlebt wird. Die Möglichkeit der gedanklich fortschreitenden Ausdehnung (…).«
Zitiervorschlag
Installation "Berliner Luft Post", 1999; Museumsstiftung Post und Telekommunikation, Inventarnummer: 3.0.1687,
URL: https://onlinesammlung.museumsstiftung.de/detail/collection/0fd25073-cb0a-4418-bdad-bcf7fec9fe7b (zuletzt aktualisiert: 26.11.2024)